Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.nicht vorkamen. Die Hexen- und Geistergeschichten, welche Die Erklärung stellt den Verlauf der Sache auf folgende Diese Voraussetzungen sind durchaus unrichtig. Niemand nicht vorkamen. Die Hexen- und Geiſtergeſchichten, welche Die Erklärung ſtellt den Verlauf der Sache auf folgende Dieſe Vorausſetzungen ſind durchaus unrichtig. Niemand <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0078" n="64"/> nicht vorkamen. Die Hexen- und Geiſtergeſchichten, welche<lb/> bei uns unter dem Volk bekannt ſind, haben einen ganz<lb/> andern Charakter. Eben ſo unrichtig iſt die Vorausſetzung,<lb/> daß dieſes Mädchen ein höchſt reizbares Nervenſyſtem habe.<lb/> Sie hat im Gegentheil eine ſehr kräftige Natur. Und ſo<lb/> fällt eben damit die ganze Unterlage der Erklärung weg;<lb/> denn man muß dieſes Mädchen geſehen haben, um zu wiſ-<lb/> ſen, wie wenig Geiſtesgaben, wie wenig Einbildungskraft<lb/> ſie beſitzt, und wie ſogar nicht vorausgeſetzt werden kann,<lb/> daß ſie ſich Ideen oder Chimären dieſer Art könnte hinge-<lb/> geben haben, denn ich wollte vielmehr darauf wetten, daß<lb/> ſie in ihrem Leben über gar nichts lange nachgedacht hat!<lb/> Auf dieſe Art konnte ſich mithin ihr ſpäterer Zuſtand nicht<lb/> verbreiten; da kein Saame dieſer Art gelegt worden war,<lb/> ſo konnte keiner aufgehen.</p><lb/> <p>Die Erklärung ſtellt den Verlauf der Sache auf folgende<lb/> Weiſe dar: „Die körperlich Kranke und geiſtig Zerrüttete<lb/> bekam allerley Viſionen, und endlich ſetzte ſich bei ihr die<lb/> Idee feſt und ward eine fixe — ſie ſey von einem Mönch<lb/> beſeſſen, der durch <hi rendition="#g">ſie</hi> von ſeiner Verdammniß erlöst werden<lb/> müßte. Eine jener, die arme Geiſteszerrüttete erſchütternden<lb/> Viſionen, die ſie vielleicht zur Nachtzeit in irgend einem<lb/> Winkel des Hauſes hatte, gaben ihr den Einfall der hier<lb/> obwaltenden dramatiſchen Idee, daß der Mönch durch das<lb/> Niederreißen des Hauſes erlöst werden würde.“</p><lb/> <p>Dieſe Vorausſetzungen ſind durchaus unrichtig. Niemand<lb/> hatte weder eine geiſtige noch körperliche Veränderung an<lb/> dem Mädchen bemerkt, noch ſie ſelbſt etwas dieſer Art ge-<lb/> fühlt — und war daher weder geiſtig zerrüttet, noch kör-<lb/> perlich krank, (man müßte denn nur annehmen, daß man<lb/> geiſtig zerrüttet und koͤrperlich krank ſeyn könnte, ohne daß<lb/> man es weder ſelbſt wiſſe, noch von andern bemerkt werde,<lb/> eine Vorausſetzung, die zu den abſurdeſten Folgerungen füh-<lb/> ren würde) als ſie eines Tages (nicht in der Nacht) in Ge-<lb/> genwart mehrerer anderer Perſonen, auf einmal mit ſtarren<lb/> Augen in eine Ecke des Stalles blickte — und darauf laut<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [64/0078]
nicht vorkamen. Die Hexen- und Geiſtergeſchichten, welche
bei uns unter dem Volk bekannt ſind, haben einen ganz
andern Charakter. Eben ſo unrichtig iſt die Vorausſetzung,
daß dieſes Mädchen ein höchſt reizbares Nervenſyſtem habe.
Sie hat im Gegentheil eine ſehr kräftige Natur. Und ſo
fällt eben damit die ganze Unterlage der Erklärung weg;
denn man muß dieſes Mädchen geſehen haben, um zu wiſ-
ſen, wie wenig Geiſtesgaben, wie wenig Einbildungskraft
ſie beſitzt, und wie ſogar nicht vorausgeſetzt werden kann,
daß ſie ſich Ideen oder Chimären dieſer Art könnte hinge-
geben haben, denn ich wollte vielmehr darauf wetten, daß
ſie in ihrem Leben über gar nichts lange nachgedacht hat!
Auf dieſe Art konnte ſich mithin ihr ſpäterer Zuſtand nicht
verbreiten; da kein Saame dieſer Art gelegt worden war,
ſo konnte keiner aufgehen.
Die Erklärung ſtellt den Verlauf der Sache auf folgende
Weiſe dar: „Die körperlich Kranke und geiſtig Zerrüttete
bekam allerley Viſionen, und endlich ſetzte ſich bei ihr die
Idee feſt und ward eine fixe — ſie ſey von einem Mönch
beſeſſen, der durch ſie von ſeiner Verdammniß erlöst werden
müßte. Eine jener, die arme Geiſteszerrüttete erſchütternden
Viſionen, die ſie vielleicht zur Nachtzeit in irgend einem
Winkel des Hauſes hatte, gaben ihr den Einfall der hier
obwaltenden dramatiſchen Idee, daß der Mönch durch das
Niederreißen des Hauſes erlöst werden würde.“
Dieſe Vorausſetzungen ſind durchaus unrichtig. Niemand
hatte weder eine geiſtige noch körperliche Veränderung an
dem Mädchen bemerkt, noch ſie ſelbſt etwas dieſer Art ge-
fühlt — und war daher weder geiſtig zerrüttet, noch kör-
perlich krank, (man müßte denn nur annehmen, daß man
geiſtig zerrüttet und koͤrperlich krank ſeyn könnte, ohne daß
man es weder ſelbſt wiſſe, noch von andern bemerkt werde,
eine Vorausſetzung, die zu den abſurdeſten Folgerungen füh-
ren würde) als ſie eines Tages (nicht in der Nacht) in Ge-
genwart mehrerer anderer Perſonen, auf einmal mit ſtarren
Augen in eine Ecke des Stalles blickte — und darauf laut
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