Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.die Worte aussprach: "Die Scheune auch?" Und als sie Kerner, über Besessenseyn. 5
die Worte ausſprach: „Die Scheune auch?“ Und als ſie Kerner, über Beſeſſenſeyn. 5
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0079" n="65"/> die Worte ausſprach: „Die Scheune auch?“ Und als ſie<lb/> ſich von dem Schrecken erholt hatte, den Umſtehenden er-<lb/> zählte: ſie habe eben einen Geiſt geſehen, der zu ihr geſpro-<lb/> chen habe: das Haus muß weg! und ſie habe darauf ge-<lb/> fragt: die Scheune auch? Nie hatte ſie zuvor eine Idee<lb/> dieſer Art gehabt, es war noch nichts Außerordentliches vor-<lb/> gefallen, es hatte noch Niemand etwas dieſer Art geſpro-<lb/> chen. Dieſe Idee alſo, daß das Haus weg müſſe, iſt nicht<lb/> allmählig in ihr entſtanden, und zuletzt zur fixen Idee ge-<lb/> worden, ſondern wurde plötzlich von ihr ausgeſprochen,<lb/> und wie ſie behauptete, durch dieſe äußere Veranlaſſung<lb/> hervorgebracht. Wie dieſe Idee in dieſem Moment nach<lb/> pſychologiſchen Geſetzen entſtanden ſeyn ſollte, läßt ſich nicht<lb/> erklären. Eben ſo hatte ſie nie die Idee, der Mönch wollte<lb/> durch ſie erlöst werden, ſondern der <hi rendition="#g">weiße</hi> Geiſt, und<lb/> eben ſo wenig hatte ſie im wachen Zuſtand je davon ge-<lb/> ſprochen oder daran gedacht, daß ſie von dem Mönch be-<lb/> ſeſſen ſey, — es war abermals keine Chimäre, keine fixe<lb/> Idee, welche ſich allmählig gebildet hätte, ſondern erſt als<lb/> ſie in den bezeichneten krankhaften Zuſtand verfiel, ſprach<lb/> der Mönch aus ihr, während ſie beim Erwachen nichts da-<lb/> von wußte, und alſo dieſe Idee nicht hatte. Eben ſo we-<lb/> nig kann wohl das Aufhören ihres Zuſtandes pſychologiſch<lb/> daraus erklärt werden, wie es von der Redaktion geſchieht,<lb/> daß die fixe Idee des Mädchens ihren Kreislauf vollbracht<lb/> hatte, und ihr Genüge geleiſtet worden ſey; denn wie hätte<lb/> ſie ſonſt ſchon ein Jahr zuvor den 6. Merz als den entſchei-<lb/> denden Tag beſtimmen können? Wäre dies auch nur Idee<lb/> geweſen, wie hätte ſie denn entſtehen können? woher hätte<lb/> ſie ſo lange vorher wiſſen können, daß gerade an dieſem<lb/> Tag ein Uebel aufhören würde, das alle ärztliche Hülfe<lb/> nicht zu entfernen vermochte! Mir ſcheint ſogar, man habe<lb/> dieſe pſychologiſchen Erklärungen, dieſe Vorausſetzungen nicht<lb/> einmal nöthig, da ſie auf jeden Fall unzulänglich ſind.<lb/> Aus den Wirkungen der Phantaſie, aus der Beſchäftigung<lb/> mit ſolchen Vorſtellungen laſſen ſich ja dieſe gewaltſamen<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Kerner</hi>, über Beſeſſenſeyn. 5</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [65/0079]
die Worte ausſprach: „Die Scheune auch?“ Und als ſie
ſich von dem Schrecken erholt hatte, den Umſtehenden er-
zählte: ſie habe eben einen Geiſt geſehen, der zu ihr geſpro-
chen habe: das Haus muß weg! und ſie habe darauf ge-
fragt: die Scheune auch? Nie hatte ſie zuvor eine Idee
dieſer Art gehabt, es war noch nichts Außerordentliches vor-
gefallen, es hatte noch Niemand etwas dieſer Art geſpro-
chen. Dieſe Idee alſo, daß das Haus weg müſſe, iſt nicht
allmählig in ihr entſtanden, und zuletzt zur fixen Idee ge-
worden, ſondern wurde plötzlich von ihr ausgeſprochen,
und wie ſie behauptete, durch dieſe äußere Veranlaſſung
hervorgebracht. Wie dieſe Idee in dieſem Moment nach
pſychologiſchen Geſetzen entſtanden ſeyn ſollte, läßt ſich nicht
erklären. Eben ſo hatte ſie nie die Idee, der Mönch wollte
durch ſie erlöst werden, ſondern der weiße Geiſt, und
eben ſo wenig hatte ſie im wachen Zuſtand je davon ge-
ſprochen oder daran gedacht, daß ſie von dem Mönch be-
ſeſſen ſey, — es war abermals keine Chimäre, keine fixe
Idee, welche ſich allmählig gebildet hätte, ſondern erſt als
ſie in den bezeichneten krankhaften Zuſtand verfiel, ſprach
der Mönch aus ihr, während ſie beim Erwachen nichts da-
von wußte, und alſo dieſe Idee nicht hatte. Eben ſo we-
nig kann wohl das Aufhören ihres Zuſtandes pſychologiſch
daraus erklärt werden, wie es von der Redaktion geſchieht,
daß die fixe Idee des Mädchens ihren Kreislauf vollbracht
hatte, und ihr Genüge geleiſtet worden ſey; denn wie hätte
ſie ſonſt ſchon ein Jahr zuvor den 6. Merz als den entſchei-
denden Tag beſtimmen können? Wäre dies auch nur Idee
geweſen, wie hätte ſie denn entſtehen können? woher hätte
ſie ſo lange vorher wiſſen können, daß gerade an dieſem
Tag ein Uebel aufhören würde, das alle ärztliche Hülfe
nicht zu entfernen vermochte! Mir ſcheint ſogar, man habe
dieſe pſychologiſchen Erklärungen, dieſe Vorausſetzungen nicht
einmal nöthig, da ſie auf jeden Fall unzulänglich ſind.
Aus den Wirkungen der Phantaſie, aus der Beſchäftigung
mit ſolchen Vorſtellungen laſſen ſich ja dieſe gewaltſamen
Kerner, über Beſeſſenſeyn. 5
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