Kettler, Hedwig Johanna: Gleiche Bildung für Mann und Frau! Weimar, 1891 (= Bibliothek der Frauenfrage, Bd. 6).
Gleiche Bildung für Mann und Frau!
Denken Sie sich zwei Kinder: Hans und Grete. Wenn Hans
und Grete nicht
dieselbe Fibel haben, sondern wenn Hans eine gute und Grete
eine schlechte
Fibel hat, und wenn dann Grete aus ihrer schlechten Fibel
weniger gelernt
hat, als Hans aus seiner guten Fibel - an wem liegt
dann die Schuld,
an Grete oder an ihrer schlechten Fibel? Nun, natürlich
doch an ihrer
schlechten Fibel, nicht wahr? Und warum an ihrer schlechten
Fibel und nicht
an Grete? Nun, weil es ganz unmöglich war, daß
Grete aus ihrer schlechten Fibel das lernen konnte, was Hans aus
seiner guten Fibel
lernen konnte, denn das stand in Gretens Fibel ja
garnicht drin.
Wenn Mann und Frau nicht dieselbe Schulbildung erhalten, sondern
wenn der
Mann eine gute und die Frau eine schlechte Schulbildung erhält,
und wenn
dann die Frau infolge ihrer schlechten Schulbildung weniger ge
lernt hat,
als der Mann infolge seiner guten Schulbildung - an wem
liegt dann
die Schuld, an der Frau oder an ihrer schlechten Schulbildung?
Nun,
natürlich doch an ihrer schlechten Schulbildung, nicht wahr? Und
warum an
ihrer schlechten Schulbildung und nicht an der Frau? Nun,
weil es ganz
unmöglich war, daß sie bei ihrer schlechten
Schulbildung
das lernen konnte, was der Mann bei
seiner guten Schulbildung lernen
konnte, denn das
haben ihre Lehrer sie ja garnicht gelehrt.
Können Sie sich nun vorstellen, daß, wenn Grete zu Jhnen käme und
sagte:
"Bitte, schenk mir eine neue Fibel, ebensolche Fibel, wie Hans
hat",
daß Sie dann sagen würden "Jawohl, mein liebes Kind,
eine neue Fibel
sollst du haben; aber erst mußt du mir die schönen
Geschichten erzählen,
die darin stehen, sonst kann ich ja garnicht wissen,
ob du die neue Fibel
auch verdienst." Jch weiß, Sie wären nicht im
Stande, das zu sagen.
Aber angenommen, Sie sprächen so; dann, das glaube
ich bestimmt, würde
das Kind Sie groß ansehen und erwidern: "Aber
ich möchte ja gerade
darum die neue Fibel haben, damit ich die schönen
Geschichten, die darin
stehen, erst kennen lerne; jetzt kann ich sie ja
noch garnicht erzählen, weil
ich sie ja noch gar nicht kenne. "
Verehrte Anwesende, ich gestehe, es wäre mir peinlich, wenn ich mir
vorstellen sollte, daß ein Kind mich mit seiner Logik des gesunden Ver
standes beschämte. Und nun bedenken Sie, wie viel peinlicher noch müßte
dies eigentlich einem Manne an meiner Stelle sein, der doch schon durch
das
bekannte Uebergewicht seines Gehirns eine viel größere Verpflichtung
hat,
logisch zu denken, als ich. Und nun giebt es Männer, und, wie Sie
wissen,
nicht einzelne, nein tausende, die ganz offen und unbefangen er
Gleiche Bildung für Mann und Frau!
Denken Sie sich zwei Kinder: Hans und Grete. Wenn Hans
und Grete nicht
dieselbe Fibel haben, sondern wenn Hans eine gute und Grete
eine schlechte
Fibel hat, und wenn dann Grete aus ihrer schlechten Fibel
weniger gelernt
hat, als Hans aus seiner guten Fibel – an wem liegt
dann die Schuld,
an Grete oder an ihrer schlechten Fibel? Nun, natürlich
doch an ihrer
schlechten Fibel, nicht wahr? Und warum an ihrer schlechten
Fibel und nicht
an Grete? Nun, weil es ganz unmöglich war, daß
Grete aus ihrer schlechten Fibel das lernen konnte, was Hans aus
seiner guten Fibel
lernen konnte, denn das stand in Gretens Fibel ja
garnicht drin.
Wenn Mann und Frau nicht dieselbe Schulbildung erhalten, sondern
wenn der
Mann eine gute und die Frau eine schlechte Schulbildung erhält,
und wenn
dann die Frau infolge ihrer schlechten Schulbildung weniger ge
lernt hat,
als der Mann infolge seiner guten Schulbildung – an wem
liegt dann
die Schuld, an der Frau oder an ihrer schlechten Schulbildung?
Nun,
natürlich doch an ihrer schlechten Schulbildung, nicht wahr? Und
warum an
ihrer schlechten Schulbildung und nicht an der Frau? Nun,
weil es ganz
unmöglich war, daß sie bei ihrer schlechten
Schulbildung
das lernen konnte, was der Mann bei
seiner guten Schulbildung lernen
konnte, denn das
haben ihre Lehrer sie ja garnicht gelehrt.
Können Sie sich nun vorstellen, daß, wenn Grete zu Jhnen käme und
sagte:
„Bitte, schenk mir eine neue Fibel, ebensolche Fibel, wie Hans
hat“,
daß Sie dann sagen würden „Jawohl, mein liebes Kind,
eine neue Fibel
sollst du haben; aber erst mußt du mir die schönen
Geschichten erzählen,
die darin stehen, sonst kann ich ja garnicht wissen,
ob du die neue Fibel
auch verdienst.“ Jch weiß, Sie wären nicht im
Stande, das zu sagen.
Aber angenommen, Sie sprächen so; dann, das glaube
ich bestimmt, würde
das Kind Sie groß ansehen und erwidern: „Aber
ich möchte ja gerade
darum die neue Fibel haben, damit ich die schönen
Geschichten, die darin
stehen, erst kennen lerne; jetzt kann ich sie ja
noch garnicht erzählen, weil
ich sie ja noch gar nicht kenne. “
Verehrte Anwesende, ich gestehe, es wäre mir peinlich, wenn ich mir
vorstellen sollte, daß ein Kind mich mit seiner Logik des gesunden Ver
standes beschämte. Und nun bedenken Sie, wie viel peinlicher noch müßte
dies eigentlich einem Manne an meiner Stelle sein, der doch schon durch
das
bekannte Uebergewicht seines Gehirns eine viel größere Verpflichtung
hat,
logisch zu denken, als ich. Und nun giebt es Männer, und, wie Sie
wissen,
nicht einzelne, nein tausende, die ganz offen und unbefangen er
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Nun, weil es ganz unmöglich war, daß Grete aus ihrer schlechten Fibel das lernen konnte, was Hans aus seiner guten Fibel lernen konnte, denn das stand in Gretens Fibel ja garnicht drin. Wenn Mann und Frau nicht dieselbe Schulbildung erhalten, sondern wenn der Mann eine gute und die Frau eine schlechte Schulbildung erhält, und wenn dann die Frau infolge ihrer schlechten Schulbildung weniger ge lernt hat, als der Mann infolge seiner guten Schulbildung – an wem liegt dann die Schuld, an der Frau oder an ihrer schlechten Schulbildung? Nun, natürlich doch an ihrer schlechten Schulbildung, nicht wahr? Und warum an ihrer schlechten Schulbildung und nicht an der Frau? Nun, weil es ganz unmöglich war, daß sie bei ihrer schlechten Schulbildung das lernen konnte, was der Mann bei seiner guten Schulbildung lernen konnte, denn das haben ihre Lehrer sie ja garnicht gelehrt. Können Sie sich nun vorstellen, daß, wenn Grete zu Jhnen käme und sagte: „Bitte, schenk mir eine neue Fibel, ebensolche Fibel, wie Hans hat“, daß Sie dann sagen würden „Jawohl, mein liebes Kind, eine neue Fibel sollst du haben; aber erst mußt du mir die schönen Geschichten erzählen, die darin stehen, sonst kann ich ja garnicht wissen, ob du die neue Fibel auch verdienst.“ Jch weiß, Sie wären nicht im Stande, das zu sagen. Aber angenommen, Sie sprächen so; dann, das glaube ich bestimmt, würde das Kind Sie groß ansehen und erwidern: „Aber ich möchte ja gerade darum die neue Fibel haben, damit ich die schönen Geschichten, die darin stehen, erst kennen lerne; jetzt kann ich sie ja noch garnicht erzählen, weil ich sie ja noch gar nicht kenne. “ Verehrte Anwesende, ich gestehe, es wäre mir peinlich, wenn ich mir vorstellen sollte, daß ein Kind mich mit seiner Logik des gesunden Ver standes beschämte. Und nun bedenken Sie, wie viel peinlicher noch müßte dies eigentlich einem Manne an meiner Stelle sein, der doch schon durch das bekannte Uebergewicht seines Gehirns eine viel größere Verpflichtung hat, logisch zu denken, als ich. Und nun giebt es Männer, und, wie Sie wissen, nicht einzelne, nein tausende, die ganz offen und unbefangen er
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und JLU Gießen: Bereitstellung der
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