Kettler, Hedwig Johanna: Gleiche Bildung für Mann und Frau! Weimar, 1891 (= Bibliothek der Frauenfrage, Bd. 6).
Gleiche Bildung für Mann und Frau!
Wenn er unsere Natur beurteilt nach dem, was er aus ihr gemacht
hat, so kommt nur das so
vor, als wenn ein Gärtner sagen wollte: "Was,
Sie behaupten, es
giebt grüne Pflanzen?! Erlauben Sie, ich kann Jhnen
beweisen, daß es keine grünen Pflanzen giebt. Sehen Sie dieses Makart
bouquet! Jst das vielleicht grün? Ueberzeugen Sie sich selbst, es ist
keine
einzige grüne Pflanze darin. Da haben Sie den Beweis, daß es
keine grünen
Pflanzen giebt. Und ich, verstehen Sie, muß das wissen, denn
ich habe dies
Makartbouquet selbst gemacht"
Das ist doch gewiß: Gärtner, die etwas so dummes sagen könnten,
giebt es
garnicht; und andere Männer, die etwas ebenso dummes sagen
können, sollte
es eigentlich auch nicht geben, aber - nun, ich will nichts
gesagt
haben!
Will man irgend Jemandes Natur daraufhin beurteilen, ob sie irgend
einer
anderen Natur inferior sei, so muß man sie, scheint mir, erst kennen
lernen, aber nicht glauben, sie genügend zu kennen, wenn man sie mit der
Kultur dieser Natur verwechselt.
Zwei Pflanzen, die man in die Sonne gestellt hat, kann man mit
einander
vergleichen. Zwei Pflanzen, die man in den Schatten gestellt hat,
kann man
auch miteinander vergleichen. Aber zwei Pflanzen, von denen
man die eine in
die Sonne und die andere in den Schatten gestellt hat,
die kann man nicht mit einander vergleichen. Denn wenn eine
Pflanze,
die man in die Sonne stellte, eine schönere Blüte treibt als eine
andere,
die im Schatten stand, hat sie dann bewiesen, daß sie eine bessere,
eine
kräftigere Pflanze ist als diese? Mir scheint, sie hat ganz einfach
bewiesen,
daß ihr die Sonne
besser bekommen ist, als der andern Pflanze der
Schatten, und daß sie deshalb schöner geblüht hat.
Will man zwei Pflanzen wirklich miteinander vergleichen, so muß man
sie ganz
gleich behandeln: entweder beide in die Sonne oder beide in den
Schatten
stellen. Wenn sie sich dann noch ungleich entwickeln
sollten, dann
hätte man ein Recht zu sagen:
"Diese beiden Pflanzen haben sich bei der
gleichen Kultur ungleich entwickelt, also haben sie verschiedene
Natur."
Will man männliche und weibliche Jntelligenz mit einander vergleichen,
so
muß man sie unter denselben Bedingungen sich entwickeln lassen, man
muß den
Naturanlagen der beiden Geschlechter die gleiche Kultur, die
gleiche
Ausbildung geben. Wenn sie sich dann noch ungleich
entwickeln sollten,
dann hätte man ein Recht, zu sagen: "Diese beiden
Jntelligenzen haben
sich bei der gleichen Kultur
ungleich entwickelt, also sind sie von
Natur verschieden. "
Gleiche Bildung für Mann und Frau!
Wenn er unsere Natur beurteilt nach dem, was er aus ihr gemacht
hat, so kommt nur das so
vor, als wenn ein Gärtner sagen wollte: „Was,
Sie behaupten, es
giebt grüne Pflanzen?! Erlauben Sie, ich kann Jhnen
beweisen, daß es keine grünen Pflanzen giebt. Sehen Sie dieses Makart
bouquet! Jst das vielleicht grün? Ueberzeugen Sie sich selbst, es ist
keine
einzige grüne Pflanze darin. Da haben Sie den Beweis, daß es
keine grünen
Pflanzen giebt. Und ich, verstehen Sie, muß das wissen, denn
ich habe dies
Makartbouquet selbst gemacht“
Das ist doch gewiß: Gärtner, die etwas so dummes sagen könnten,
giebt es
garnicht; und andere Männer, die etwas ebenso dummes sagen
können, sollte
es eigentlich auch nicht geben, aber – nun, ich will nichts
gesagt
haben!
Will man irgend Jemandes Natur daraufhin beurteilen, ob sie irgend
einer
anderen Natur inferior sei, so muß man sie, scheint mir, erst kennen
lernen, aber nicht glauben, sie genügend zu kennen, wenn man sie mit der
Kultur dieser Natur verwechselt.
Zwei Pflanzen, die man in die Sonne gestellt hat, kann man mit
einander
vergleichen. Zwei Pflanzen, die man in den Schatten gestellt hat,
kann man
auch miteinander vergleichen. Aber zwei Pflanzen, von denen
man die eine in
die Sonne und die andere in den Schatten gestellt hat,
die kann man nicht mit einander vergleichen. Denn wenn eine
Pflanze,
die man in die Sonne stellte, eine schönere Blüte treibt als eine
andere,
die im Schatten stand, hat sie dann bewiesen, daß sie eine bessere,
eine
kräftigere Pflanze ist als diese? Mir scheint, sie hat ganz einfach
bewiesen,
daß ihr die Sonne
besser bekommen ist, als der andern Pflanze der
Schatten, und daß sie deshalb schöner geblüht hat.
Will man zwei Pflanzen wirklich miteinander vergleichen, so muß man
sie ganz
gleich behandeln: entweder beide in die Sonne oder beide in den
Schatten
stellen. Wenn sie sich dann noch ungleich entwickeln
sollten, dann
hätte man ein Recht zu sagen:
„Diese beiden Pflanzen haben sich bei der
gleichen Kultur ungleich entwickelt, also haben sie verschiedene
Natur.“
Will man männliche und weibliche Jntelligenz mit einander vergleichen,
so
muß man sie unter denselben Bedingungen sich entwickeln lassen, man
muß den
Naturanlagen der beiden Geschlechter die gleiche Kultur, die
gleiche
Ausbildung geben. Wenn sie sich dann noch ungleich
entwickeln sollten,
dann hätte man ein Recht, zu sagen: „Diese beiden
Jntelligenzen haben
sich bei der gleichen Kultur
ungleich entwickelt, also sind sie von
Natur verschieden. “
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Zwei Pflanzen, die man in die Sonne gestellt hat, kann man mit einander vergleichen. Zwei Pflanzen, die man in den Schatten gestellt hat, kann man auch miteinander vergleichen. Aber zwei Pflanzen, von denen man die eine in die Sonne und die andere in den Schatten gestellt hat, die kann man nicht mit einander vergleichen. Denn wenn eine Pflanze, die man in die Sonne stellte, eine schönere Blüte treibt als eine andere, die im Schatten stand, hat sie dann bewiesen, daß sie eine bessere, eine kräftigere Pflanze ist als diese? Mir scheint, sie hat ganz einfach bewiesen, daß ihr die Sonne besser bekommen ist, als der andern Pflanze derSchatten, und daß sie deshalb schöner geblüht hat. Will man zwei Pflanzen wirklich miteinander vergleichen, so muß man sie ganz gleich behandeln: entweder beide in die Sonne oder beide in den Schatten stellen. Wenn sie sich dann noch ungleich entwickeln sollten, dann hätte man ein Recht zu sagen: „Diese beiden Pflanzen haben sich bei der gleichen Kultur ungleich entwickelt, also haben sie verschiedene Natur.“ Will man männliche und weibliche Jntelligenz mit einander vergleichen, so muß man sie unter denselben Bedingungen sich entwickeln lassen, man muß den Naturanlagen der beiden Geschlechter die gleiche Kultur, die gleiche Ausbildung geben. Wenn sie sich dann noch ungleich entwickeln sollten,dann hätte man ein Recht, zu sagen: „Diese beiden Jntelligenzen haben sich bei der gleichen Kultur ungleich entwickelt, also sind sie vonNatur verschieden. “
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und JLU Gießen: Bereitstellung der
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