Kettler, Hedwig Johanna: Gleiche Bildung für Mann und Frau! Weimar, 1891 (= Bibliothek der Frauenfrage, Bd. 6).
Gleiche Bildung für Mann und Frau!
einen
günstigen Bescheid zu rechnen hätten. Denn wenn der
jetzige un
günstige Bescheid Zeugnis davon giebt, wie unsere Nation sich
noch nicht
klar bewußt ist, daß sie der Ehre ihrer Frauen den weiblichen
Arzt schuldet,
so wäre die Anschauung, daß Deutschland von allen
Kulturnationen allein
den weiblichen Arzt auch für alle Zukunft nicht
brauchen würde, das Zu
geständnis, daß unsere Nation sich jener
Verpflichtung gegen ihre Frauen
auch nie klar
bewußt sein würde. Und daß sie ein solches Zugeständnis
zu machen gewillt
wäre, ist doch nicht wohl anzunehmen.
"Gut also, der dem männlichen Arzt ebenbürtige weibliche Arzt ist
eine berechtigte Forderung", sagen viele, "dieser einen Sorte von gelehrten
Frauen wollen wir eine
gelehrte Bildung gestatten; aber damit Punktum,
für sonstige gelehrte
Frauen danken wir!"
Jst es die Majorität der Männer, der gesetzgebenden Hälfte unserer
Nation,
welche so denkt, so wird sie dieser Denkungsart entsprechend ihre
Verfügungen treffen. Jst es einmal der Stolz der deutschen Männer, dieser
einen Hälfte unserer Nation, auf die Frauen, die andere Hälfte unserer
Nation, herabzusehen, und dies auf die bequemste Weise sich zu ermöglichen,
so wird sie natürlich diesen Stolz sich nicht rauben lassen, so wird sie
an
ordnen, daß diese andere Hälfte künstlich unten gehalten werde, damit
sie
nicht erst die Mühe hat, hinauszusteigen. Jch meinerseits freilich
würde,
wenn ich das angenehme Gefühl, auf eine ganze Hälfte der Nation
herab
zusehen, nur zu erreichen vermöchte, indem ich diese ganze Hälfte
künstlich
unten halte, d. h. also sie zuvor erniedrige, für dieses
angenehme Gefühl
mich bedanken, das gestehe ich offen.
Nun also, die gelehrten Frauen, die Ärztinnen etwa ausgenommen,
wären durch
das Diktum des Mannes, daß er sie eben nicht will, vorläufig
kurzer Hand
erledigt; und es wäre für die dem Gesetz Gehorchenden ein
ganz vergebliches
Bemühen, wollten sie den Gesetzgebern etwas klar zu
machen versuchen, das
diesen noch gar nicht klar gemacht werden kann, das
diese noch gar nicht klar gemacht haben wollen, würden
sie ihnen sagen:
"Jhr habt die moralische Pflicht, dem Weibe, das
Gott so gut wie Euch
zu seinem Ebenbilde erschaffen, dieselbe Ausbildung
des Geistes zu ge
währen, die Jhr genießt, falls es danach verlangt; und
zwar schon ganz
Nachbarstaaten zur
wohlwollenden Erwägung überwiesen; andererseits hat auch die
Unterrichtskommission des preußischen Abgeordnetenhauses den Eventualantrag
obiger
Petition also die Zulassung von Mädchen zur Ablegung des
gymnasialen Reife-Examens)
zur Überweisung an die Staatsregierung
behufs Erwägung empfohlen.
Gleiche Bildung für Mann und Frau!
einen
günstigen Bescheid zu rechnen hätten. Denn wenn der
jetzige un
günstige Bescheid Zeugnis davon giebt, wie unsere Nation sich
noch nicht
klar bewußt ist, daß sie der Ehre ihrer Frauen den weiblichen
Arzt schuldet,
so wäre die Anschauung, daß Deutschland von allen
Kulturnationen allein
den weiblichen Arzt auch für alle Zukunft nicht
brauchen würde, das Zu
geständnis, daß unsere Nation sich jener
Verpflichtung gegen ihre Frauen
auch nie klar
bewußt sein würde. Und daß sie ein solches Zugeständnis
zu machen gewillt
wäre, ist doch nicht wohl anzunehmen.
„Gut also, der dem männlichen Arzt ebenbürtige weibliche Arzt ist
eine berechtigte Forderung“, sagen viele, „dieser einen Sorte von gelehrten
Frauen wollen wir eine
gelehrte Bildung gestatten; aber damit Punktum,
für sonstige gelehrte
Frauen danken wir!“
Jst es die Majorität der Männer, der gesetzgebenden Hälfte unserer
Nation,
welche so denkt, so wird sie dieser Denkungsart entsprechend ihre
Verfügungen treffen. Jst es einmal der Stolz der deutschen Männer, dieser
einen Hälfte unserer Nation, auf die Frauen, die andere Hälfte unserer
Nation, herabzusehen, und dies auf die bequemste Weise sich zu ermöglichen,
so wird sie natürlich diesen Stolz sich nicht rauben lassen, so wird sie
an
ordnen, daß diese andere Hälfte künstlich unten gehalten werde, damit
sie
nicht erst die Mühe hat, hinauszusteigen. Jch meinerseits freilich
würde,
wenn ich das angenehme Gefühl, auf eine ganze Hälfte der Nation
herab
zusehen, nur zu erreichen vermöchte, indem ich diese ganze Hälfte
künstlich
unten halte, d. h. also sie zuvor erniedrige, für dieses
angenehme Gefühl
mich bedanken, das gestehe ich offen.
Nun also, die gelehrten Frauen, die Ärztinnen etwa ausgenommen,
wären durch
das Diktum des Mannes, daß er sie eben nicht will, vorläufig
kurzer Hand
erledigt; und es wäre für die dem Gesetz Gehorchenden ein
ganz vergebliches
Bemühen, wollten sie den Gesetzgebern etwas klar zu
machen versuchen, das
diesen noch gar nicht klar gemacht werden kann, das
diese noch gar nicht klar gemacht haben wollen, würden
sie ihnen sagen:
„Jhr habt die moralische Pflicht, dem Weibe, das
Gott so gut wie Euch
zu seinem Ebenbilde erschaffen, dieselbe Ausbildung
des Geistes zu ge
währen, die Jhr genießt, falls es danach verlangt; und
zwar schon ganz
Nachbarstaaten zur
wohlwollenden Erwägung überwiesen; andererseits hat auch die
Unterrichtskommission des preußischen Abgeordnetenhauses den Eventualantrag
obiger
Petition also die Zulassung von Mädchen zur Ablegung des
gymnasialen Reife-Examens)
zur Überweisung an die Staatsregierung
behufs Erwägung empfohlen.
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Jst es einmal der Stolz der deutschen Männer, dieser einen Hälfte unserer Nation, auf die Frauen, die andere Hälfte unserer Nation, herabzusehen, und dies auf die bequemste Weise sich zu ermöglichen, so wird sie natürlich diesen Stolz sich nicht rauben lassen, so wird sie an ordnen, daß diese andere Hälfte künstlich unten gehalten werde, damit sie nicht erst die Mühe hat, hinauszusteigen. Jch meinerseits freilich würde, wenn ich das angenehme Gefühl, auf eine ganze Hälfte der Nation herab zusehen, nur zu erreichen vermöchte, indem ich diese ganze Hälfte künstlich unten halte, d. h. also sie zuvor erniedrige, für dieses angenehme Gefühl mich bedanken, das gestehe ich offen. Nun also, die gelehrten Frauen, die Ärztinnen etwa ausgenommen, wären durch das Diktum des Mannes, daß er sie eben nicht will, vorläufig kurzer Hand erledigt; und es wäre für die dem Gesetz Gehorchenden ein ganz vergebliches Bemühen, wollten sie den Gesetzgebern etwas klar zu machen versuchen, das diesen noch gar nicht klar gemacht werden kann, das diese noch gar nicht klar gemacht haben wollen, würden sie ihnen sagen: „Jhr habt die moralische Pflicht, dem Weibe, das Gott so gut wie Euch zu seinem Ebenbilde erschaffen, dieselbe Ausbildung des Geistes zu ge währen, die Jhr genießt, falls es danach verlangt; und zwar schon ganzNachbarstaaten zur wohlwollenden Erwägung überwiesen; andererseits hat auch die Unterrichtskommission des preußischen Abgeordnetenhauses den Eventualantrag obiger Petition also die Zulassung von Mädchen zur Ablegung des gymnasialen Reife-Examens) zur Überweisung an die Staatsregierung behufs Erwägung empfohlen.
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und JLU Gießen: Bereitstellung der
Texttranskription.
(2022-02-08T18:24:57Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle
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Andreas Neumann, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition.
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