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von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909].

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nun mal nicht anders. Wie fern sind die armen Mädchenphantasien! Hier wird die Seele frei und heiß. Es ist mir, als dürfte ich ein lästiges Kleid abwerfen, weil ich verstehe, daß ich schöner bin als das Kleid. Das klingt wohl alles sehr fremd in Dein armes, liebes Wohnzimmer hinein und Du lächelst über Deine wilde Tochter." Frau Ziepe hielt inne, lächelte, dann fuhr sie fort: "Wie dankbar bin ich der verehrten Baronin und den lieben Schloßbewohnern für alles, was sie an mir getan. Du weißt, wie ich diese von weißen, reinen Schleiern verhangene Welt geliebt habe. Aber die Welt ohne Schleier ist doch mächtiger. Hier bekennt alles sich zu seiner eigenen Schönheit. Das steckt an. Vor mir liegt das Meer, eine Fläche von blau und violetter Seide, schwer mit Gold beschlagen; aber Seide, die lebt, eine Seele hat, in ihrem Rauschen zu uns spricht. Das regt mich so stark auf, daß ich das Meer wie toll ansinge, es soll nicht allein schön sein. In solchen Zeiten schicke ich Hans fort, ich ertrage ihn kaum, ich muß mit der neuen Mareile allein sein." - So ging es noch eine Weile fort und Frau Ziepe las ausdrucksvoll, als trüge sie ein kostbares Stück Literatur vor. Jetzt war der Brief zu Ende. Frau Ziepe schaute glücklich und erwartungsvoll auf. Allein die Damen arbeiteten emsig fort, die Köpfe auf die Stickereien niedergebeugt, und eine Weile sprach niemand. "Na," bemerkte die Baronin endlich, "sie ist gesund, das ist die Hauptsache."

"Ja - ja - ich bin auch so dankbar!" murmelte Frau Ziepe. Sie war befangen und enttäuscht. Es war ihr, als stieße sie hier auf etwas Kaltes, Mareile Feindliches. "Ja, nun will ich wieder gehen," sagte sie kleinlaut und schlich

nun mal nicht anders. Wie fern sind die armen Mädchenphantasien! Hier wird die Seele frei und heiß. Es ist mir, als dürfte ich ein lästiges Kleid abwerfen, weil ich verstehe, daß ich schöner bin als das Kleid. Das klingt wohl alles sehr fremd in Dein armes, liebes Wohnzimmer hinein und Du lächelst über Deine wilde Tochter.“ Frau Ziepe hielt inne, lächelte, dann fuhr sie fort: „Wie dankbar bin ich der verehrten Baronin und den lieben Schloßbewohnern für alles, was sie an mir getan. Du weißt, wie ich diese von weißen, reinen Schleiern verhangene Welt geliebt habe. Aber die Welt ohne Schleier ist doch mächtiger. Hier bekennt alles sich zu seiner eigenen Schönheit. Das steckt an. Vor mir liegt das Meer, eine Fläche von blau und violetter Seide, schwer mit Gold beschlagen; aber Seide, die lebt, eine Seele hat, in ihrem Rauschen zu uns spricht. Das regt mich so stark auf, daß ich das Meer wie toll ansinge, es soll nicht allein schön sein. In solchen Zeiten schicke ich Hans fort, ich ertrage ihn kaum, ich muß mit der neuen Mareile allein sein.“ – So ging es noch eine Weile fort und Frau Ziepe las ausdrucksvoll, als trüge sie ein kostbares Stück Literatur vor. Jetzt war der Brief zu Ende. Frau Ziepe schaute glücklich und erwartungsvoll auf. Allein die Damen arbeiteten emsig fort, die Köpfe auf die Stickereien niedergebeugt, und eine Weile sprach niemand. „Na,“ bemerkte die Baronin endlich, „sie ist gesund, das ist die Hauptsache.“

„Ja – ja – ich bin auch so dankbar!“ murmelte Frau Ziepe. Sie war befangen und enttäuscht. Es war ihr, als stieße sie hier auf etwas Kaltes, Mareile Feindliches. „Ja, nun will ich wieder gehen,“ sagte sie kleinlaut und schlich

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[54/0056] nun mal nicht anders. Wie fern sind die armen Mädchenphantasien! Hier wird die Seele frei und heiß. Es ist mir, als dürfte ich ein lästiges Kleid abwerfen, weil ich verstehe, daß ich schöner bin als das Kleid. Das klingt wohl alles sehr fremd in Dein armes, liebes Wohnzimmer hinein und Du lächelst über Deine wilde Tochter.“ Frau Ziepe hielt inne, lächelte, dann fuhr sie fort: „Wie dankbar bin ich der verehrten Baronin und den lieben Schloßbewohnern für alles, was sie an mir getan. Du weißt, wie ich diese von weißen, reinen Schleiern verhangene Welt geliebt habe. Aber die Welt ohne Schleier ist doch mächtiger. Hier bekennt alles sich zu seiner eigenen Schönheit. Das steckt an. Vor mir liegt das Meer, eine Fläche von blau und violetter Seide, schwer mit Gold beschlagen; aber Seide, die lebt, eine Seele hat, in ihrem Rauschen zu uns spricht. Das regt mich so stark auf, daß ich das Meer wie toll ansinge, es soll nicht allein schön sein. In solchen Zeiten schicke ich Hans fort, ich ertrage ihn kaum, ich muß mit der neuen Mareile allein sein.“ – So ging es noch eine Weile fort und Frau Ziepe las ausdrucksvoll, als trüge sie ein kostbares Stück Literatur vor. Jetzt war der Brief zu Ende. Frau Ziepe schaute glücklich und erwartungsvoll auf. Allein die Damen arbeiteten emsig fort, die Köpfe auf die Stickereien niedergebeugt, und eine Weile sprach niemand. „Na,“ bemerkte die Baronin endlich, „sie ist gesund, das ist die Hauptsache.“ „Ja – ja – ich bin auch so dankbar!“ murmelte Frau Ziepe. Sie war befangen und enttäuscht. Es war ihr, als stieße sie hier auf etwas Kaltes, Mareile Feindliches. „Ja, nun will ich wieder gehen,“ sagte sie kleinlaut und schlich

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Zitationshilfe: von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909], S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903/56>, abgerufen am 23.11.2024.