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Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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reichliche Leben beim Schöffen leicht und gern hinein. Den Knaben gab er Latein und sonstige Gymnasialfächer, brachte sie auch so weit, daß die meisten beim spätern Eintritt in öffentliche Schulen ein paar Klassen übersprangen. Die Mädchen aber unterrichtete er mit den Knaben zusammen im Deutschen, in Erdbeschreibung, Vaterlands- und Völkerkunde und in Geschichte. Vom nächsten Quellchen und Mühlbach, von den überall sichtbaren Nachbarhöfen beginnend führte er die Einbildungskraft und die Begriffe seiner kleinen Schüler in das Ahrthal, an den Rhein, an die See, und so weiter in allen Ländern und Herrlichkeiten umher; dann erst begann er die Geschicke der Menschen auf unserm Balle zu berichten. Er war eine der herrlichen Naturen, bei denen jedes Wissen augenblicks ins Praktische, jedes Ferne ins Nächste übergeht, und der stürmische Freiheitsmuth, mit dem er die Gegenwart umgestalten wollte, gab seinen Erzählungen aus der Geschichte eine Glut, die als zündende Menschen und Vaterlandsliebe in die jungen Herzen schlug. Alles Fremdländische, alles Charakterlose, alle Verirrungen der modernen Kultur hielt er von ihnen fern, schon weil ihm selbst das Alles fern lag. Mit leuchtendem Auge hing selbst der alte Schöffe in diesen Unterrichtsstunden an dem Munde des männlichen Jünglings, mit noch leuchtenderem die kleine Margret.

Der Sinn des Mädchens ist weich und auf alles Milde gewendet, so lang es jung bleibt. Schwindet

reichliche Leben beim Schöffen leicht und gern hinein. Den Knaben gab er Latein und sonstige Gymnasialfächer, brachte sie auch so weit, daß die meisten beim spätern Eintritt in öffentliche Schulen ein paar Klassen übersprangen. Die Mädchen aber unterrichtete er mit den Knaben zusammen im Deutschen, in Erdbeschreibung, Vaterlands- und Völkerkunde und in Geschichte. Vom nächsten Quellchen und Mühlbach, von den überall sichtbaren Nachbarhöfen beginnend führte er die Einbildungskraft und die Begriffe seiner kleinen Schüler in das Ahrthal, an den Rhein, an die See, und so weiter in allen Ländern und Herrlichkeiten umher; dann erst begann er die Geschicke der Menschen auf unserm Balle zu berichten. Er war eine der herrlichen Naturen, bei denen jedes Wissen augenblicks ins Praktische, jedes Ferne ins Nächste übergeht, und der stürmische Freiheitsmuth, mit dem er die Gegenwart umgestalten wollte, gab seinen Erzählungen aus der Geschichte eine Glut, die als zündende Menschen und Vaterlandsliebe in die jungen Herzen schlug. Alles Fremdländische, alles Charakterlose, alle Verirrungen der modernen Kultur hielt er von ihnen fern, schon weil ihm selbst das Alles fern lag. Mit leuchtendem Auge hing selbst der alte Schöffe in diesen Unterrichtsstunden an dem Munde des männlichen Jünglings, mit noch leuchtenderem die kleine Margret.

Der Sinn des Mädchens ist weich und auf alles Milde gewendet, so lang es jung bleibt. Schwindet

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[0017] reichliche Leben beim Schöffen leicht und gern hinein. Den Knaben gab er Latein und sonstige Gymnasialfächer, brachte sie auch so weit, daß die meisten beim spätern Eintritt in öffentliche Schulen ein paar Klassen übersprangen. Die Mädchen aber unterrichtete er mit den Knaben zusammen im Deutschen, in Erdbeschreibung, Vaterlands- und Völkerkunde und in Geschichte. Vom nächsten Quellchen und Mühlbach, von den überall sichtbaren Nachbarhöfen beginnend führte er die Einbildungskraft und die Begriffe seiner kleinen Schüler in das Ahrthal, an den Rhein, an die See, und so weiter in allen Ländern und Herrlichkeiten umher; dann erst begann er die Geschicke der Menschen auf unserm Balle zu berichten. Er war eine der herrlichen Naturen, bei denen jedes Wissen augenblicks ins Praktische, jedes Ferne ins Nächste übergeht, und der stürmische Freiheitsmuth, mit dem er die Gegenwart umgestalten wollte, gab seinen Erzählungen aus der Geschichte eine Glut, die als zündende Menschen und Vaterlandsliebe in die jungen Herzen schlug. Alles Fremdländische, alles Charakterlose, alle Verirrungen der modernen Kultur hielt er von ihnen fern, schon weil ihm selbst das Alles fern lag. Mit leuchtendem Auge hing selbst der alte Schöffe in diesen Unterrichtsstunden an dem Munde des männlichen Jünglings, mit noch leuchtenderem die kleine Margret. Der Sinn des Mädchens ist weich und auf alles Milde gewendet, so lang es jung bleibt. Schwindet

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:40:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:40:10Z)

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Zitationshilfe: Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_margret_1910/17>, abgerufen am 02.05.2024.