Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.aus ihrer langen Lebenserfahrung ein Dutzend Fälle, wo solche Dinge am Ende doch noch gut abgelaufen und mit einer Hochzeit beschlossen worden seien; die drei Dutzend, welche ein betrübteres Ende genommen hatten, verschwieg sie. Nun rückte Margret mit ihrem Plan hervor. Sie wollte bei der Tante als Magd eintreten ohne Lohn, Garten, Küche und Näharbeit besorgen; dafür sollte ihr dann ein kleiner Nebenbau der Mühle eingeräumt werden und für die Pflege des Kindes Zeit bleiben. So hoffte Margret durch ihrer Hände Arbeit ihrem Kinde wenigstens das kleine Vermögen als Erbe zu sichern, das sie gerettet hatte. Die Tante, der Margrets Tüchtigkeit und Fleiß wohl bewußt war, ging mit Freuden darauf ein und versprach ihr, daß sie wie ein Kind vom Hause gehalten sein sollte. Schon am folgenden Morgen zog Margret ein, nachdem sie vorher an Nikola einen Brief geschrieben und ihm ihren neuen Wohnort angezeigt hatte. Bis jetzt war sie unter allen diesen Beschäftigungen nur noch wenig ans Grübeln darüber gekommen, daß Nikola von Berlin aus noch immer nichts von sich hören ließ; auf dem Lande ist man ohnehin der Briefe nicht so bedürftig als in der Stadt. Jetzt aber bei dem stillen und gleichmüßigen Arbeiten auf der Mühle stiegen ihr allerlei Gedanken auf, die sie jedoch tapfer abwehrte. Daß er in der Hauptstadt angekommen sei, wußte sie durch seine Verwandten, und ein aus dem Dienst entlassener Kamerad hatte ihr einmal einen Gruß aus ihrer langen Lebenserfahrung ein Dutzend Fälle, wo solche Dinge am Ende doch noch gut abgelaufen und mit einer Hochzeit beschlossen worden seien; die drei Dutzend, welche ein betrübteres Ende genommen hatten, verschwieg sie. Nun rückte Margret mit ihrem Plan hervor. Sie wollte bei der Tante als Magd eintreten ohne Lohn, Garten, Küche und Näharbeit besorgen; dafür sollte ihr dann ein kleiner Nebenbau der Mühle eingeräumt werden und für die Pflege des Kindes Zeit bleiben. So hoffte Margret durch ihrer Hände Arbeit ihrem Kinde wenigstens das kleine Vermögen als Erbe zu sichern, das sie gerettet hatte. Die Tante, der Margrets Tüchtigkeit und Fleiß wohl bewußt war, ging mit Freuden darauf ein und versprach ihr, daß sie wie ein Kind vom Hause gehalten sein sollte. Schon am folgenden Morgen zog Margret ein, nachdem sie vorher an Nikola einen Brief geschrieben und ihm ihren neuen Wohnort angezeigt hatte. Bis jetzt war sie unter allen diesen Beschäftigungen nur noch wenig ans Grübeln darüber gekommen, daß Nikola von Berlin aus noch immer nichts von sich hören ließ; auf dem Lande ist man ohnehin der Briefe nicht so bedürftig als in der Stadt. Jetzt aber bei dem stillen und gleichmüßigen Arbeiten auf der Mühle stiegen ihr allerlei Gedanken auf, die sie jedoch tapfer abwehrte. Daß er in der Hauptstadt angekommen sei, wußte sie durch seine Verwandten, und ein aus dem Dienst entlassener Kamerad hatte ihr einmal einen Gruß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0038"/> aus ihrer langen Lebenserfahrung ein Dutzend Fälle, wo solche Dinge am Ende doch noch gut abgelaufen und mit einer Hochzeit beschlossen worden seien; die drei Dutzend, welche ein betrübteres Ende genommen hatten, verschwieg sie. Nun rückte Margret mit ihrem Plan hervor. Sie wollte bei der Tante als Magd eintreten ohne Lohn, Garten, Küche und Näharbeit besorgen; dafür sollte ihr dann ein kleiner Nebenbau der Mühle eingeräumt werden und für die Pflege des Kindes Zeit bleiben. So hoffte Margret durch ihrer Hände Arbeit ihrem Kinde wenigstens das kleine Vermögen als Erbe zu sichern, das sie gerettet hatte. Die Tante, der Margrets Tüchtigkeit und Fleiß wohl bewußt war, ging mit Freuden darauf ein und versprach ihr, daß sie wie ein Kind vom Hause gehalten sein sollte. Schon am folgenden Morgen zog Margret ein, nachdem sie vorher an Nikola einen Brief geschrieben und ihm ihren neuen Wohnort angezeigt hatte.</p><lb/> <p>Bis jetzt war sie unter allen diesen Beschäftigungen nur noch wenig ans Grübeln darüber gekommen, daß Nikola von Berlin aus noch immer nichts von sich hören ließ; auf dem Lande ist man ohnehin der Briefe nicht so bedürftig als in der Stadt. Jetzt aber bei dem stillen und gleichmüßigen Arbeiten auf der Mühle stiegen ihr allerlei Gedanken auf, die sie jedoch tapfer abwehrte. Daß er in der Hauptstadt angekommen sei, wußte sie durch seine Verwandten, und ein aus dem Dienst entlassener Kamerad hatte ihr einmal einen Gruß<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0038]
aus ihrer langen Lebenserfahrung ein Dutzend Fälle, wo solche Dinge am Ende doch noch gut abgelaufen und mit einer Hochzeit beschlossen worden seien; die drei Dutzend, welche ein betrübteres Ende genommen hatten, verschwieg sie. Nun rückte Margret mit ihrem Plan hervor. Sie wollte bei der Tante als Magd eintreten ohne Lohn, Garten, Küche und Näharbeit besorgen; dafür sollte ihr dann ein kleiner Nebenbau der Mühle eingeräumt werden und für die Pflege des Kindes Zeit bleiben. So hoffte Margret durch ihrer Hände Arbeit ihrem Kinde wenigstens das kleine Vermögen als Erbe zu sichern, das sie gerettet hatte. Die Tante, der Margrets Tüchtigkeit und Fleiß wohl bewußt war, ging mit Freuden darauf ein und versprach ihr, daß sie wie ein Kind vom Hause gehalten sein sollte. Schon am folgenden Morgen zog Margret ein, nachdem sie vorher an Nikola einen Brief geschrieben und ihm ihren neuen Wohnort angezeigt hatte.
Bis jetzt war sie unter allen diesen Beschäftigungen nur noch wenig ans Grübeln darüber gekommen, daß Nikola von Berlin aus noch immer nichts von sich hören ließ; auf dem Lande ist man ohnehin der Briefe nicht so bedürftig als in der Stadt. Jetzt aber bei dem stillen und gleichmüßigen Arbeiten auf der Mühle stiegen ihr allerlei Gedanken auf, die sie jedoch tapfer abwehrte. Daß er in der Hauptstadt angekommen sei, wußte sie durch seine Verwandten, und ein aus dem Dienst entlassener Kamerad hatte ihr einmal einen Gruß
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