Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.meldete, hatte Margret in der Freude ihres Herzens ein "Eilig" zur Adresse gesetzt. Als er dem Kameraden Nikolaus ausgehändigt wurde, den dieser als Burschen zum Putzen brauchte, meinte der, wegen jenes Wörtchens den Brief rasch abliefern zu müssen, und brachte ihn daher in das Haus eines kleinen Kaufmanns, bei dessen Frau und Töchtern Nikola diesen Abend zu Thee und Musik eingeladen war. Nikola saß eben mit der schönen, vornehm blassen Adelaide im lebhaftesten Gespräch, als das Kammermädchen ihm den Brief übergab. Wohl erkannte er die zitternden Züge der Aufschrift, aber er schämte sich in dieser Gesellschaft an ein Bauernmädchen erinnert zu werden, sein Blick flog über Adelaidens weiße Stirn, über ihre feinen Züge, über das glänzende, modisch geschnittene Kleid - und wider seinen Willen trat diesem Bilde gegenüber Margrets verhärmte Gestalt mit dem wirren Blick und zerwühlten Haar, wie er zuletzt auf dem Krankenbette sie gesehen hatte. Adelaidens Mutter bat ihn höflich, sich nicht zu geniren und den Brief gleich zu lesen; er aber antwortete frei und leicht, es habe keine Eile, und der Brief, der ihm verkündigte, daß ein Sprosse seines Blutes ihm geboren sei, wurde uneröffnet unter die Uniform geknöpft. Heiter führte er sodann seine Nachbarin zum Klavier, heiter sang er zu ihrer Begleitung ihr rheinisches Lieblingslied von dem Mädchen, das um den gestorbenen Geliebten sich im Kloster zu Tode trauert - und selbst bis zur Adelaide von Beethoven verstieg er meldete, hatte Margret in der Freude ihres Herzens ein “Eilig“ zur Adresse gesetzt. Als er dem Kameraden Nikolaus ausgehändigt wurde, den dieser als Burschen zum Putzen brauchte, meinte der, wegen jenes Wörtchens den Brief rasch abliefern zu müssen, und brachte ihn daher in das Haus eines kleinen Kaufmanns, bei dessen Frau und Töchtern Nikola diesen Abend zu Thee und Musik eingeladen war. Nikola saß eben mit der schönen, vornehm blassen Adelaide im lebhaftesten Gespräch, als das Kammermädchen ihm den Brief übergab. Wohl erkannte er die zitternden Züge der Aufschrift, aber er schämte sich in dieser Gesellschaft an ein Bauernmädchen erinnert zu werden, sein Blick flog über Adelaidens weiße Stirn, über ihre feinen Züge, über das glänzende, modisch geschnittene Kleid – und wider seinen Willen trat diesem Bilde gegenüber Margrets verhärmte Gestalt mit dem wirren Blick und zerwühlten Haar, wie er zuletzt auf dem Krankenbette sie gesehen hatte. Adelaidens Mutter bat ihn höflich, sich nicht zu geniren und den Brief gleich zu lesen; er aber antwortete frei und leicht, es habe keine Eile, und der Brief, der ihm verkündigte, daß ein Sprosse seines Blutes ihm geboren sei, wurde uneröffnet unter die Uniform geknöpft. Heiter führte er sodann seine Nachbarin zum Klavier, heiter sang er zu ihrer Begleitung ihr rheinisches Lieblingslied von dem Mädchen, das um den gestorbenen Geliebten sich im Kloster zu Tode trauert – und selbst bis zur Adelaide von Beethoven verstieg er <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0043"/> meldete, hatte Margret in der Freude ihres Herzens ein “Eilig“ zur Adresse gesetzt. Als er dem Kameraden Nikolaus ausgehändigt wurde, den dieser als Burschen zum Putzen brauchte, meinte der, wegen jenes Wörtchens den Brief rasch abliefern zu müssen, und brachte ihn daher in das Haus eines kleinen Kaufmanns, bei dessen Frau und Töchtern Nikola diesen Abend zu Thee und Musik eingeladen war. Nikola saß eben mit der schönen, vornehm blassen Adelaide im lebhaftesten Gespräch, als das Kammermädchen ihm den Brief übergab. Wohl erkannte er die zitternden Züge der Aufschrift, aber er schämte sich in dieser Gesellschaft an ein Bauernmädchen erinnert zu werden, sein Blick flog über Adelaidens weiße Stirn, über ihre feinen Züge, über das glänzende, modisch geschnittene Kleid – und wider seinen Willen trat diesem Bilde gegenüber Margrets verhärmte Gestalt mit dem wirren Blick und zerwühlten Haar, wie er zuletzt auf dem Krankenbette sie gesehen hatte. Adelaidens Mutter bat ihn höflich, sich nicht zu geniren und den Brief gleich zu lesen; er aber antwortete frei und leicht, es habe keine Eile, und der Brief, der ihm verkündigte, daß ein Sprosse seines Blutes ihm geboren sei, wurde uneröffnet unter die Uniform geknöpft. Heiter führte er sodann seine Nachbarin zum Klavier, heiter sang er zu ihrer Begleitung ihr rheinisches Lieblingslied von dem Mädchen, das um den gestorbenen Geliebten sich im Kloster zu Tode trauert – und selbst bis zur Adelaide von Beethoven verstieg er<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0043]
meldete, hatte Margret in der Freude ihres Herzens ein “Eilig“ zur Adresse gesetzt. Als er dem Kameraden Nikolaus ausgehändigt wurde, den dieser als Burschen zum Putzen brauchte, meinte der, wegen jenes Wörtchens den Brief rasch abliefern zu müssen, und brachte ihn daher in das Haus eines kleinen Kaufmanns, bei dessen Frau und Töchtern Nikola diesen Abend zu Thee und Musik eingeladen war. Nikola saß eben mit der schönen, vornehm blassen Adelaide im lebhaftesten Gespräch, als das Kammermädchen ihm den Brief übergab. Wohl erkannte er die zitternden Züge der Aufschrift, aber er schämte sich in dieser Gesellschaft an ein Bauernmädchen erinnert zu werden, sein Blick flog über Adelaidens weiße Stirn, über ihre feinen Züge, über das glänzende, modisch geschnittene Kleid – und wider seinen Willen trat diesem Bilde gegenüber Margrets verhärmte Gestalt mit dem wirren Blick und zerwühlten Haar, wie er zuletzt auf dem Krankenbette sie gesehen hatte. Adelaidens Mutter bat ihn höflich, sich nicht zu geniren und den Brief gleich zu lesen; er aber antwortete frei und leicht, es habe keine Eile, und der Brief, der ihm verkündigte, daß ein Sprosse seines Blutes ihm geboren sei, wurde uneröffnet unter die Uniform geknöpft. Heiter führte er sodann seine Nachbarin zum Klavier, heiter sang er zu ihrer Begleitung ihr rheinisches Lieblingslied von dem Mädchen, das um den gestorbenen Geliebten sich im Kloster zu Tode trauert – und selbst bis zur Adelaide von Beethoven verstieg er
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