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Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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und die wirklich tüchtigen Kenntnisse, die jene Privatschule ihm gegeben hatte, führten ihn leicht auch in die Kreise des höheren Geisteslebens ein. Er besuchte Theater und bürgerliche Bälle und zog durch reichliches Leben und Lebenlassen junge Kaufmannssöhne in seine Bekanntschaft. Diese fanden es bald nicht ungerathen, den reichen jungen Landbesitzer in ihre Familien einzuführen.

Der Rheinländer hat in der Berliner Gesellschaft einen Vortheil voraus. Man kommt ihm mit günstigem Urtheil entgegen, man liebt das sorglose leichte Blut seines Stammes, man verzeiht ihm seinen Dialekt und manchmal sogar den Mangel feinerer Bildung. Nikola war nicht ungebildet: er sang schön und fertig, er hielt etwas auf sich und besaß auch Empfindung genug, um sich rasch in die Bücher hineinzulesen, die eben Mode waren; in politischen Gesprächen, wie man sie dort liebt, gab er sogar durch seine genaue Kenntniß der heimathlichen Sachlage einen erwünschten Beitrag zur Unterhaltung her. Schon nach sechs Wochen hatte sich ihm am Wirthstisch wie am Theetisch eine Menge von Kreisen eröffnet, die ihn bezauberten und hinrissen. Ihnen widmete er alle freie Zeit: sonst nahm ihn die Pünktlichkeit des Militärdienstes hin, welche doch auch den Kräftigsten ermüdet, und so blieb ihm kaum Zeit, an die arme Margret zu denken, vielweniger an sie zu schreiben.

Auf jenen Brief, der die Geburt des Knaben

und die wirklich tüchtigen Kenntnisse, die jene Privatschule ihm gegeben hatte, führten ihn leicht auch in die Kreise des höheren Geisteslebens ein. Er besuchte Theater und bürgerliche Bälle und zog durch reichliches Leben und Lebenlassen junge Kaufmannssöhne in seine Bekanntschaft. Diese fanden es bald nicht ungerathen, den reichen jungen Landbesitzer in ihre Familien einzuführen.

Der Rheinländer hat in der Berliner Gesellschaft einen Vortheil voraus. Man kommt ihm mit günstigem Urtheil entgegen, man liebt das sorglose leichte Blut seines Stammes, man verzeiht ihm seinen Dialekt und manchmal sogar den Mangel feinerer Bildung. Nikola war nicht ungebildet: er sang schön und fertig, er hielt etwas auf sich und besaß auch Empfindung genug, um sich rasch in die Bücher hineinzulesen, die eben Mode waren; in politischen Gesprächen, wie man sie dort liebt, gab er sogar durch seine genaue Kenntniß der heimathlichen Sachlage einen erwünschten Beitrag zur Unterhaltung her. Schon nach sechs Wochen hatte sich ihm am Wirthstisch wie am Theetisch eine Menge von Kreisen eröffnet, die ihn bezauberten und hinrissen. Ihnen widmete er alle freie Zeit: sonst nahm ihn die Pünktlichkeit des Militärdienstes hin, welche doch auch den Kräftigsten ermüdet, und so blieb ihm kaum Zeit, an die arme Margret zu denken, vielweniger an sie zu schreiben.

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[0042] und die wirklich tüchtigen Kenntnisse, die jene Privatschule ihm gegeben hatte, führten ihn leicht auch in die Kreise des höheren Geisteslebens ein. Er besuchte Theater und bürgerliche Bälle und zog durch reichliches Leben und Lebenlassen junge Kaufmannssöhne in seine Bekanntschaft. Diese fanden es bald nicht ungerathen, den reichen jungen Landbesitzer in ihre Familien einzuführen. Der Rheinländer hat in der Berliner Gesellschaft einen Vortheil voraus. Man kommt ihm mit günstigem Urtheil entgegen, man liebt das sorglose leichte Blut seines Stammes, man verzeiht ihm seinen Dialekt und manchmal sogar den Mangel feinerer Bildung. Nikola war nicht ungebildet: er sang schön und fertig, er hielt etwas auf sich und besaß auch Empfindung genug, um sich rasch in die Bücher hineinzulesen, die eben Mode waren; in politischen Gesprächen, wie man sie dort liebt, gab er sogar durch seine genaue Kenntniß der heimathlichen Sachlage einen erwünschten Beitrag zur Unterhaltung her. Schon nach sechs Wochen hatte sich ihm am Wirthstisch wie am Theetisch eine Menge von Kreisen eröffnet, die ihn bezauberten und hinrissen. Ihnen widmete er alle freie Zeit: sonst nahm ihn die Pünktlichkeit des Militärdienstes hin, welche doch auch den Kräftigsten ermüdet, und so blieb ihm kaum Zeit, an die arme Margret zu denken, vielweniger an sie zu schreiben. Auf jenen Brief, der die Geburt des Knaben

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:40:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:40:10Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_margret_1910/42>, abgerufen am 02.05.2024.