Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Der Doktor sah vom Papiere aus und sagte: Er wird doch ja vor Abend wieder kommen? Ich sage Ihnen, es hängt viel daran. Sicher, sagte die Alte; er ist treu und gut. Der Doktor stand auf, bot Margret herzlich die Hand und reichte der Tante das Recept hin. Zu gleicher Zeit, als sein Klepper höher ins Gebirg zu einem andern Kranken trabte, zogen die beiden tüchtigen Braunen den Wagen Paul's durchs große Hofthor auf die Straße nach dem Ahrthal hinaus. Die Tante versprach in der Stube zu bleiben, und da der Knabe jetzt ganz erquicklich und fest schlief, legte sich auch Margret aufs Bette. Ein gesunder Schlummer ward ihr zu Theil, und sie erwachte erst, als bereits die Sonne ihren kurzen Winterlauf vollendet hatte. Ist Paul zurück? war ihre erste Frage. Noch nicht, antwortete die alte Frau, aber wir haben auch noch fünf Stunden bis zehn Uhr. Mach dir keine Sorge: der kommt sicher. Die beiden Frauen stärkten sich jetzt mit Speise und Trank. Margret, vom Schlafen wie neugeboren, war voller Hoffnung, und in traulichem Plaudern gingen ein paar Stunden beim Spinnrad vorüber. Die Wanduhr schlug acht, draußen wehte pfeifend ein scharfer Nordwind. Die Alte stand auf und sagte: Nun aber begreife ich's doch selber nicht mehr. Ob dem Paul mit den Pferden ein Unglück zugestoßen ist? Jetzt müßte und müßte er hier sein, wenn Alles recht Der Doktor sah vom Papiere aus und sagte: Er wird doch ja vor Abend wieder kommen? Ich sage Ihnen, es hängt viel daran. Sicher, sagte die Alte; er ist treu und gut. Der Doktor stand auf, bot Margret herzlich die Hand und reichte der Tante das Recept hin. Zu gleicher Zeit, als sein Klepper höher ins Gebirg zu einem andern Kranken trabte, zogen die beiden tüchtigen Braunen den Wagen Paul's durchs große Hofthor auf die Straße nach dem Ahrthal hinaus. Die Tante versprach in der Stube zu bleiben, und da der Knabe jetzt ganz erquicklich und fest schlief, legte sich auch Margret aufs Bette. Ein gesunder Schlummer ward ihr zu Theil, und sie erwachte erst, als bereits die Sonne ihren kurzen Winterlauf vollendet hatte. Ist Paul zurück? war ihre erste Frage. Noch nicht, antwortete die alte Frau, aber wir haben auch noch fünf Stunden bis zehn Uhr. Mach dir keine Sorge: der kommt sicher. Die beiden Frauen stärkten sich jetzt mit Speise und Trank. Margret, vom Schlafen wie neugeboren, war voller Hoffnung, und in traulichem Plaudern gingen ein paar Stunden beim Spinnrad vorüber. Die Wanduhr schlug acht, draußen wehte pfeifend ein scharfer Nordwind. Die Alte stand auf und sagte: Nun aber begreife ich's doch selber nicht mehr. Ob dem Paul mit den Pferden ein Unglück zugestoßen ist? Jetzt müßte und müßte er hier sein, wenn Alles recht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0051"/> <p>Der Doktor sah vom Papiere aus und sagte: Er wird doch ja vor Abend wieder kommen? Ich sage Ihnen, es hängt viel daran.</p><lb/> <p>Sicher, sagte die Alte; er ist treu und gut.</p><lb/> <p>Der Doktor stand auf, bot Margret herzlich die Hand und reichte der Tante das Recept hin. Zu gleicher Zeit, als sein Klepper höher ins Gebirg zu einem andern Kranken trabte, zogen die beiden tüchtigen Braunen den Wagen Paul's durchs große Hofthor auf die Straße nach dem Ahrthal hinaus. Die Tante versprach in der Stube zu bleiben, und da der Knabe jetzt ganz erquicklich und fest schlief, legte sich auch Margret aufs Bette. Ein gesunder Schlummer ward ihr zu Theil, und sie erwachte erst, als bereits die Sonne ihren kurzen Winterlauf vollendet hatte. Ist Paul zurück? war ihre erste Frage. Noch nicht, antwortete die alte Frau, aber wir haben auch noch fünf Stunden bis zehn Uhr. Mach dir keine Sorge: der kommt sicher.</p><lb/> <p>Die beiden Frauen stärkten sich jetzt mit Speise und Trank. Margret, vom Schlafen wie neugeboren, war voller Hoffnung, und in traulichem Plaudern gingen ein paar Stunden beim Spinnrad vorüber. Die Wanduhr schlug acht, draußen wehte pfeifend ein scharfer Nordwind. Die Alte stand auf und sagte: Nun aber begreife ich's doch selber nicht mehr. Ob dem Paul mit den Pferden ein Unglück zugestoßen ist? Jetzt müßte und müßte er hier sein, wenn Alles recht<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0051]
Der Doktor sah vom Papiere aus und sagte: Er wird doch ja vor Abend wieder kommen? Ich sage Ihnen, es hängt viel daran.
Sicher, sagte die Alte; er ist treu und gut.
Der Doktor stand auf, bot Margret herzlich die Hand und reichte der Tante das Recept hin. Zu gleicher Zeit, als sein Klepper höher ins Gebirg zu einem andern Kranken trabte, zogen die beiden tüchtigen Braunen den Wagen Paul's durchs große Hofthor auf die Straße nach dem Ahrthal hinaus. Die Tante versprach in der Stube zu bleiben, und da der Knabe jetzt ganz erquicklich und fest schlief, legte sich auch Margret aufs Bette. Ein gesunder Schlummer ward ihr zu Theil, und sie erwachte erst, als bereits die Sonne ihren kurzen Winterlauf vollendet hatte. Ist Paul zurück? war ihre erste Frage. Noch nicht, antwortete die alte Frau, aber wir haben auch noch fünf Stunden bis zehn Uhr. Mach dir keine Sorge: der kommt sicher.
Die beiden Frauen stärkten sich jetzt mit Speise und Trank. Margret, vom Schlafen wie neugeboren, war voller Hoffnung, und in traulichem Plaudern gingen ein paar Stunden beim Spinnrad vorüber. Die Wanduhr schlug acht, draußen wehte pfeifend ein scharfer Nordwind. Die Alte stand auf und sagte: Nun aber begreife ich's doch selber nicht mehr. Ob dem Paul mit den Pferden ein Unglück zugestoßen ist? Jetzt müßte und müßte er hier sein, wenn Alles recht
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