Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Die Thiere liefen neben einander, das eine Junge blieb etwas zurück, alle schienen in banger Eile dem sichernden Walde gegenüber zuzustreben. Jetzt waren sie ganz nahe; Margret hörte das Keuchen ihres Odems. Die alte Wölfin und das eine Junge, das sich dicht an sie hielt, saus'ten vorüber, das andre suchte winselnd nachzukommen. Plötzlich aber blieb es stehen, schnupperte, schwang den Schweif und bog auf Margret ab, wie neugierig zu sehen was unter dem Baume stecke. Das Mädchen spannte alle seine Sehnen, krampfte ihre Finger um die Waffe, und in dem Augenblicke, als das Thier mit schleichendem Schritt und hochgehobener spürender Nase unter den Hieb kam, ließ sie mit Riesenstärke die mordende Schneide recht mitten zwischen seine Funkelaugen niedersausen. Der furchtbare Schlag schnitt durch den Kopf, und das Eisen schlug noch auf den gefrornen Boden auf; das Thier aber stieß einen markdurchschneidenden Schrei aus und verzuckte dann röchelnd zu ihren Füßen. Margret streckte sich rasch in die Höhe und hub die Axt von Neuem über ihr Haupt. Es war nöthig, denn die alte Wölfin, die schon nahe am Waldsaum angekommen war, wandte bei dem Schrei ihres Jungen das Haupt und kehrte mit dem zweiten Wölfchen in wenigen Sprüngen zurück. Als sie das todte Junge am Boden und sein Blut den Schnee berieseln fand, heulte sie laut auf und wollte Margret anspringen; aber da sah sie in des Mädchens weit aufgerissenes Auge, sah die blanke Axt über ihrem Haupte in den Die Thiere liefen neben einander, das eine Junge blieb etwas zurück, alle schienen in banger Eile dem sichernden Walde gegenüber zuzustreben. Jetzt waren sie ganz nahe; Margret hörte das Keuchen ihres Odems. Die alte Wölfin und das eine Junge, das sich dicht an sie hielt, saus'ten vorüber, das andre suchte winselnd nachzukommen. Plötzlich aber blieb es stehen, schnupperte, schwang den Schweif und bog auf Margret ab, wie neugierig zu sehen was unter dem Baume stecke. Das Mädchen spannte alle seine Sehnen, krampfte ihre Finger um die Waffe, und in dem Augenblicke, als das Thier mit schleichendem Schritt und hochgehobener spürender Nase unter den Hieb kam, ließ sie mit Riesenstärke die mordende Schneide recht mitten zwischen seine Funkelaugen niedersausen. Der furchtbare Schlag schnitt durch den Kopf, und das Eisen schlug noch auf den gefrornen Boden auf; das Thier aber stieß einen markdurchschneidenden Schrei aus und verzuckte dann röchelnd zu ihren Füßen. Margret streckte sich rasch in die Höhe und hub die Axt von Neuem über ihr Haupt. Es war nöthig, denn die alte Wölfin, die schon nahe am Waldsaum angekommen war, wandte bei dem Schrei ihres Jungen das Haupt und kehrte mit dem zweiten Wölfchen in wenigen Sprüngen zurück. Als sie das todte Junge am Boden und sein Blut den Schnee berieseln fand, heulte sie laut auf und wollte Margret anspringen; aber da sah sie in des Mädchens weit aufgerissenes Auge, sah die blanke Axt über ihrem Haupte in den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0060"/> Die Thiere liefen neben einander, das eine Junge blieb etwas zurück, alle schienen in banger Eile dem sichernden Walde gegenüber zuzustreben. Jetzt waren sie ganz nahe; Margret hörte das Keuchen ihres Odems. Die alte Wölfin und das eine Junge, das sich dicht an sie hielt, saus'ten vorüber, das andre suchte winselnd nachzukommen. Plötzlich aber blieb es stehen, schnupperte, schwang den Schweif und bog auf Margret ab, wie neugierig zu sehen was unter dem Baume stecke. Das Mädchen spannte alle seine Sehnen, krampfte ihre Finger um die Waffe, und in dem Augenblicke, als das Thier mit schleichendem Schritt und hochgehobener spürender Nase unter den Hieb kam, ließ sie mit Riesenstärke die mordende Schneide recht mitten zwischen seine Funkelaugen niedersausen. Der furchtbare Schlag schnitt durch den Kopf, und das Eisen schlug noch auf den gefrornen Boden auf; das Thier aber stieß einen markdurchschneidenden Schrei aus und verzuckte dann röchelnd zu ihren Füßen. Margret streckte sich rasch in die Höhe und hub die Axt von Neuem über ihr Haupt. Es war nöthig, denn die alte Wölfin, die schon nahe am Waldsaum angekommen war, wandte bei dem Schrei ihres Jungen das Haupt und kehrte mit dem zweiten Wölfchen in wenigen Sprüngen zurück. Als sie das todte Junge am Boden und sein Blut den Schnee berieseln fand, heulte sie laut auf und wollte Margret anspringen; aber da sah sie in des Mädchens weit aufgerissenes Auge, sah die blanke Axt über ihrem Haupte in den<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0060]
Die Thiere liefen neben einander, das eine Junge blieb etwas zurück, alle schienen in banger Eile dem sichernden Walde gegenüber zuzustreben. Jetzt waren sie ganz nahe; Margret hörte das Keuchen ihres Odems. Die alte Wölfin und das eine Junge, das sich dicht an sie hielt, saus'ten vorüber, das andre suchte winselnd nachzukommen. Plötzlich aber blieb es stehen, schnupperte, schwang den Schweif und bog auf Margret ab, wie neugierig zu sehen was unter dem Baume stecke. Das Mädchen spannte alle seine Sehnen, krampfte ihre Finger um die Waffe, und in dem Augenblicke, als das Thier mit schleichendem Schritt und hochgehobener spürender Nase unter den Hieb kam, ließ sie mit Riesenstärke die mordende Schneide recht mitten zwischen seine Funkelaugen niedersausen. Der furchtbare Schlag schnitt durch den Kopf, und das Eisen schlug noch auf den gefrornen Boden auf; das Thier aber stieß einen markdurchschneidenden Schrei aus und verzuckte dann röchelnd zu ihren Füßen. Margret streckte sich rasch in die Höhe und hub die Axt von Neuem über ihr Haupt. Es war nöthig, denn die alte Wölfin, die schon nahe am Waldsaum angekommen war, wandte bei dem Schrei ihres Jungen das Haupt und kehrte mit dem zweiten Wölfchen in wenigen Sprüngen zurück. Als sie das todte Junge am Boden und sein Blut den Schnee berieseln fand, heulte sie laut auf und wollte Margret anspringen; aber da sah sie in des Mädchens weit aufgerissenes Auge, sah die blanke Axt über ihrem Haupte in den
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T12:40:10Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T12:40:10Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |