Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.in der Frist eines kurzen Zeitraumes niedergelassen hat, um als unwandelbares Sternbild über einer unendlichen Nacht zu glänzen, sondern daß er wie ein Feuerstrom durch alle Zeiten ergossen hier als Flamme, dort als Fünkchen aufglüht, und daß er, wo sein reines Licht erscheint, zünden und strahlen, nicht verlöscht und zertreten werden soll. Sie verwerfen aber doch die modernen Italiener und ihre Nachahmer? fragte Ida bei der nächsten Zusammenkunft Sohling. Ja, weil sie die Lüge in der Kunst darstellen. Aus demselben Grunde negire ich aber auch die Arie des Sextus, welche das lieblichste Rondo auf den Text voll "Verzweiflung und Höllenpein" bringt. Abstrahiren wir aber vom Text, so versöhnt uns hier das reizende Zusammenwirken von Melodie, Harmonie und Rhythmus, während die Italiener wenig mehr besitzen, als eine arme, flitterhafte Melodie. Unser Flötist vergleicht sie mit einer Wassersuppe, auf der oben nur wenige Fettaugen schwimmen. Die Malerin sagte: Der Vergleich ist richtig, aber garstig. Eher sollte man die Melodie der Italiener eine kokette Dame nennen, die allein ein leichtfertiges Gespräch führt, indeß unsere deutsche Musik der Unterhaltung einer gebildeten Gesellschaft ähnlich alle Stimmen zur Geltung kommen läßt. Die beiden Damen und der Concertmeister waren mehrmal in der Woche bei Gesprächen, zu denen ge- in der Frist eines kurzen Zeitraumes niedergelassen hat, um als unwandelbares Sternbild über einer unendlichen Nacht zu glänzen, sondern daß er wie ein Feuerstrom durch alle Zeiten ergossen hier als Flamme, dort als Fünkchen aufglüht, und daß er, wo sein reines Licht erscheint, zünden und strahlen, nicht verlöscht und zertreten werden soll. Sie verwerfen aber doch die modernen Italiener und ihre Nachahmer? fragte Ida bei der nächsten Zusammenkunft Sohling. Ja, weil sie die Lüge in der Kunst darstellen. Aus demselben Grunde negire ich aber auch die Arie des Sextus, welche das lieblichste Rondo auf den Text voll „Verzweiflung und Höllenpein“ bringt. Abstrahiren wir aber vom Text, so versöhnt uns hier das reizende Zusammenwirken von Melodie, Harmonie und Rhythmus, während die Italiener wenig mehr besitzen, als eine arme, flitterhafte Melodie. Unser Flötist vergleicht sie mit einer Wassersuppe, auf der oben nur wenige Fettaugen schwimmen. Die Malerin sagte: Der Vergleich ist richtig, aber garstig. Eher sollte man die Melodie der Italiener eine kokette Dame nennen, die allein ein leichtfertiges Gespräch führt, indeß unsere deutsche Musik der Unterhaltung einer gebildeten Gesellschaft ähnlich alle Stimmen zur Geltung kommen läßt. Die beiden Damen und der Concertmeister waren mehrmal in der Woche bei Gesprächen, zu denen ge- <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0059"/> in der Frist eines kurzen Zeitraumes niedergelassen hat, um als unwandelbares Sternbild über einer unendlichen Nacht zu glänzen, sondern daß er wie ein Feuerstrom durch alle Zeiten ergossen hier als Flamme, dort als Fünkchen aufglüht, und daß er, wo sein reines Licht erscheint, zünden und strahlen, nicht verlöscht und zertreten werden soll.</p><lb/> <p>Sie verwerfen aber doch die modernen Italiener und ihre Nachahmer? fragte Ida bei der nächsten Zusammenkunft Sohling.</p><lb/> <p>Ja, weil sie die Lüge in der Kunst darstellen. Aus demselben Grunde negire ich aber auch die Arie des Sextus, welche das lieblichste Rondo auf den Text voll „Verzweiflung und Höllenpein“ bringt. Abstrahiren wir aber vom Text, so versöhnt uns hier das reizende Zusammenwirken von Melodie, Harmonie und Rhythmus, während die Italiener wenig mehr besitzen, als eine arme, flitterhafte Melodie. Unser Flötist vergleicht sie mit einer Wassersuppe, auf der oben nur wenige Fettaugen schwimmen.</p><lb/> <p>Die Malerin sagte: Der Vergleich ist richtig, aber garstig. Eher sollte man die Melodie der Italiener eine kokette Dame nennen, die allein ein leichtfertiges Gespräch führt, indeß unsere deutsche Musik der Unterhaltung einer gebildeten Gesellschaft ähnlich alle Stimmen zur Geltung kommen läßt.</p><lb/> <p>Die beiden Damen und der Concertmeister waren mehrmal in der Woche bei Gesprächen, zu denen ge-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0059]
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Sie verwerfen aber doch die modernen Italiener und ihre Nachahmer? fragte Ida bei der nächsten Zusammenkunft Sohling.
Ja, weil sie die Lüge in der Kunst darstellen. Aus demselben Grunde negire ich aber auch die Arie des Sextus, welche das lieblichste Rondo auf den Text voll „Verzweiflung und Höllenpein“ bringt. Abstrahiren wir aber vom Text, so versöhnt uns hier das reizende Zusammenwirken von Melodie, Harmonie und Rhythmus, während die Italiener wenig mehr besitzen, als eine arme, flitterhafte Melodie. Unser Flötist vergleicht sie mit einer Wassersuppe, auf der oben nur wenige Fettaugen schwimmen.
Die Malerin sagte: Der Vergleich ist richtig, aber garstig. Eher sollte man die Melodie der Italiener eine kokette Dame nennen, die allein ein leichtfertiges Gespräch führt, indeß unsere deutsche Musik der Unterhaltung einer gebildeten Gesellschaft ähnlich alle Stimmen zur Geltung kommen läßt.
Die beiden Damen und der Concertmeister waren mehrmal in der Woche bei Gesprächen, zu denen ge-
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Zitationshilfe: | Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910/59>, abgerufen am 17.02.2025. |