Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ist ja ein alter Bekannter, sprach er vor sich hin, richtig, ich habe ja einmal an ihn geschrieben wegen der armen Ida; -- nun, solches Unheil verschulde ich jetzt nicht mehr! -- und ein kleiner Seufzer folgte dieser Reflexion. Die Symphonie begann, von Sohling trefflich dirigirt. Fast überall herrscht noch im vornehmen Publicum der Aberglaube, als gehöre die Symphonie nicht so recht mit zum Concert, sondern sei nur eine Art Vorspiel zu demselben. Ja, die Damen behandeln sie oft mit nicht mehr Aufmerksamkeit, als die Trommel in den Menagerien. Sie finden das vollständige Orchester eben bequem, um die Bemerkungen zu übertäuben, die sie halblaut mit der Nachbarin über die Toiletten der Anwesenden machen. Hier aber schien das Publicum besser erzogen zu sein. Bei dem ersten Versuche Selvar's, der von dieser ächt-aristokratischen Unart nicht frei war, während der Musik eine Conversation mit den Nachbarn anzuknüpfen, erhielt er statt der Antwort nur ein höfliches Zeichen, und die vor ihm stehenden Personen sahen sich fast erschrocken nach ihm um. Von den Anwesenden mit lautem Applaus empfangen, trat Ida auf. Trotz seiner Lorgnette erkannte Selvar sie nicht mehr. Die Verwandlung ist mächtig, die in solchen Frauen vorgeht, welche in der frühesten Jugend durch geistige Anspannung und überstarke Gemüthsaufregung in ihrer Entfaltung gestört wurden. Kommt ihnen noch zur rechten ist ja ein alter Bekannter, sprach er vor sich hin, richtig, ich habe ja einmal an ihn geschrieben wegen der armen Ida; — nun, solches Unheil verschulde ich jetzt nicht mehr! — und ein kleiner Seufzer folgte dieser Reflexion. Die Symphonie begann, von Sohling trefflich dirigirt. Fast überall herrscht noch im vornehmen Publicum der Aberglaube, als gehöre die Symphonie nicht so recht mit zum Concert, sondern sei nur eine Art Vorspiel zu demselben. Ja, die Damen behandeln sie oft mit nicht mehr Aufmerksamkeit, als die Trommel in den Menagerien. Sie finden das vollständige Orchester eben bequem, um die Bemerkungen zu übertäuben, die sie halblaut mit der Nachbarin über die Toiletten der Anwesenden machen. Hier aber schien das Publicum besser erzogen zu sein. Bei dem ersten Versuche Selvar's, der von dieser ächt-aristokratischen Unart nicht frei war, während der Musik eine Conversation mit den Nachbarn anzuknüpfen, erhielt er statt der Antwort nur ein höfliches Zeichen, und die vor ihm stehenden Personen sahen sich fast erschrocken nach ihm um. Von den Anwesenden mit lautem Applaus empfangen, trat Ida auf. Trotz seiner Lorgnette erkannte Selvar sie nicht mehr. Die Verwandlung ist mächtig, die in solchen Frauen vorgeht, welche in der frühesten Jugend durch geistige Anspannung und überstarke Gemüthsaufregung in ihrer Entfaltung gestört wurden. Kommt ihnen noch zur rechten <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0070"/> ist ja ein alter Bekannter, sprach er vor sich hin, richtig, ich habe ja einmal an ihn geschrieben wegen der armen Ida; — nun, solches Unheil verschulde ich jetzt nicht mehr! — und ein kleiner Seufzer folgte dieser Reflexion.</p><lb/> <p>Die Symphonie begann, von Sohling trefflich dirigirt. Fast überall herrscht noch im vornehmen Publicum der Aberglaube, als gehöre die Symphonie nicht so recht mit zum Concert, sondern sei nur eine Art Vorspiel zu demselben. Ja, die Damen behandeln sie oft mit nicht mehr Aufmerksamkeit, als die Trommel in den Menagerien. Sie finden das vollständige Orchester eben bequem, um die Bemerkungen zu übertäuben, die sie halblaut mit der Nachbarin über die Toiletten der Anwesenden machen.</p><lb/> <p>Hier aber schien das Publicum besser erzogen zu sein. Bei dem ersten Versuche Selvar's, der von dieser ächt-aristokratischen Unart nicht frei war, während der Musik eine Conversation mit den Nachbarn anzuknüpfen, erhielt er statt der Antwort nur ein höfliches Zeichen, und die vor ihm stehenden Personen sahen sich fast erschrocken nach ihm um. Von den Anwesenden mit lautem Applaus empfangen, trat Ida auf. Trotz seiner Lorgnette erkannte Selvar sie nicht mehr. Die Verwandlung ist mächtig, die in solchen Frauen vorgeht, welche in der frühesten Jugend durch geistige Anspannung und überstarke Gemüthsaufregung in ihrer Entfaltung gestört wurden. Kommt ihnen noch zur rechten<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0070]
ist ja ein alter Bekannter, sprach er vor sich hin, richtig, ich habe ja einmal an ihn geschrieben wegen der armen Ida; — nun, solches Unheil verschulde ich jetzt nicht mehr! — und ein kleiner Seufzer folgte dieser Reflexion.
Die Symphonie begann, von Sohling trefflich dirigirt. Fast überall herrscht noch im vornehmen Publicum der Aberglaube, als gehöre die Symphonie nicht so recht mit zum Concert, sondern sei nur eine Art Vorspiel zu demselben. Ja, die Damen behandeln sie oft mit nicht mehr Aufmerksamkeit, als die Trommel in den Menagerien. Sie finden das vollständige Orchester eben bequem, um die Bemerkungen zu übertäuben, die sie halblaut mit der Nachbarin über die Toiletten der Anwesenden machen.
Hier aber schien das Publicum besser erzogen zu sein. Bei dem ersten Versuche Selvar's, der von dieser ächt-aristokratischen Unart nicht frei war, während der Musik eine Conversation mit den Nachbarn anzuknüpfen, erhielt er statt der Antwort nur ein höfliches Zeichen, und die vor ihm stehenden Personen sahen sich fast erschrocken nach ihm um. Von den Anwesenden mit lautem Applaus empfangen, trat Ida auf. Trotz seiner Lorgnette erkannte Selvar sie nicht mehr. Die Verwandlung ist mächtig, die in solchen Frauen vorgeht, welche in der frühesten Jugend durch geistige Anspannung und überstarke Gemüthsaufregung in ihrer Entfaltung gestört wurden. Kommt ihnen noch zur rechten
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