Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

sich merklich rötheten. Selvar hatte schnell den rechten Ton gefunden; er schützte den neugierigsten Antheil an ihren Schicksalen vor, um nicht das Gefühl von Verlassenheit zu verrathen, das ihn bei dem Gedanken an sein eigenes Haus befiel. Bald aber ward das Gespräch durch ein paar rothwangige Kindergesichtchen unterbrochen, die sich schalkhaft lauschend an der Thüre zeigten, und trotz des ernsten Abwehrens ihres Vaters nicht zu Bette wollten, bis sie von der Mutter noch einen Kuß bekommen hätten. Ida stand lachend auf, aber noch ehe sie die Thür erreichte, stürzten die lockigen Schelmchen in ihren Nachtröckchen auf sie zu und umklammerten sie. Als diese nun endlich beschwichtigt waren und dem fremden Herrn ein Händchen gegeben hatten, wobei sie treuherzig den Papa fragten: Ist das der Großvater, der uns diesen Sommer besuchen soll? -- da fing das Jüngste im Nebenzimmer an zu lallen und nach der Mama zu weinen. Wollte sie Ruhe haben, so mußte Ida es auf ihren Schooß nehmen, wo es, unbekümmert um den schönen Seidenschmuck, den es zerknitterte, bald einschlief.

Mit diesem Bilde von ihr schied Selvar. Sie gehörte nun einer Welt, an der er keinen Antheil hatte, und doch, sprach er leise, als er über die Schwelle schritt, hat sie einst nur mir gelebt!

Als Sohling und Ida wieder allein waren, fragte sie: Hat es dich denn gar nicht getrübt, dem Manne zu begegnen, den ich vor dir geliebt habe?

sich merklich rötheten. Selvar hatte schnell den rechten Ton gefunden; er schützte den neugierigsten Antheil an ihren Schicksalen vor, um nicht das Gefühl von Verlassenheit zu verrathen, das ihn bei dem Gedanken an sein eigenes Haus befiel. Bald aber ward das Gespräch durch ein paar rothwangige Kindergesichtchen unterbrochen, die sich schalkhaft lauschend an der Thüre zeigten, und trotz des ernsten Abwehrens ihres Vaters nicht zu Bette wollten, bis sie von der Mutter noch einen Kuß bekommen hätten. Ida stand lachend auf, aber noch ehe sie die Thür erreichte, stürzten die lockigen Schelmchen in ihren Nachtröckchen auf sie zu und umklammerten sie. Als diese nun endlich beschwichtigt waren und dem fremden Herrn ein Händchen gegeben hatten, wobei sie treuherzig den Papa fragten: Ist das der Großvater, der uns diesen Sommer besuchen soll? — da fing das Jüngste im Nebenzimmer an zu lallen und nach der Mama zu weinen. Wollte sie Ruhe haben, so mußte Ida es auf ihren Schooß nehmen, wo es, unbekümmert um den schönen Seidenschmuck, den es zerknitterte, bald einschlief.

Mit diesem Bilde von ihr schied Selvar. Sie gehörte nun einer Welt, an der er keinen Antheil hatte, und doch, sprach er leise, als er über die Schwelle schritt, hat sie einst nur mir gelebt!

Als Sohling und Ida wieder allein waren, fragte sie: Hat es dich denn gar nicht getrübt, dem Manne zu begegnen, den ich vor dir geliebt habe?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <p><pb facs="#f0074"/>
sich merklich rötheten. Selvar hatte schnell den rechten Ton gefunden; er schützte      den neugierigsten Antheil an ihren Schicksalen vor, um nicht das Gefühl von Verlassenheit zu      verrathen, das ihn bei dem Gedanken an sein eigenes Haus befiel. Bald aber ward das Gespräch      durch ein paar rothwangige Kindergesichtchen unterbrochen, die sich schalkhaft lauschend an der      Thüre zeigten, und trotz des ernsten Abwehrens ihres Vaters nicht zu Bette wollten, bis sie von      der Mutter noch einen Kuß bekommen hätten. Ida stand lachend auf, aber noch ehe sie die Thür      erreichte, stürzten die lockigen Schelmchen in ihren Nachtröckchen auf sie zu und umklammerten      sie. Als diese nun endlich beschwichtigt waren und dem fremden Herrn ein Händchen gegeben      hatten, wobei sie treuherzig den Papa fragten: Ist das der Großvater, der uns diesen Sommer      besuchen soll? &#x2014; da fing das Jüngste im Nebenzimmer an zu lallen und nach der Mama zu weinen.      Wollte sie Ruhe haben, so mußte Ida es auf ihren Schooß nehmen, wo es, unbekümmert um den      schönen Seidenschmuck, den es zerknitterte, bald einschlief.</p><lb/>
        <p>Mit diesem Bilde von ihr schied Selvar. Sie gehörte nun einer Welt, an der er keinen Antheil      hatte, und doch, sprach er leise, als er über die Schwelle schritt, hat sie einst nur mir      gelebt!</p><lb/>
        <p>Als Sohling und Ida wieder allein waren, fragte sie: Hat es dich denn gar nicht getrübt, dem      Manne zu begegnen, den ich vor dir geliebt habe?</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0074] sich merklich rötheten. Selvar hatte schnell den rechten Ton gefunden; er schützte den neugierigsten Antheil an ihren Schicksalen vor, um nicht das Gefühl von Verlassenheit zu verrathen, das ihn bei dem Gedanken an sein eigenes Haus befiel. Bald aber ward das Gespräch durch ein paar rothwangige Kindergesichtchen unterbrochen, die sich schalkhaft lauschend an der Thüre zeigten, und trotz des ernsten Abwehrens ihres Vaters nicht zu Bette wollten, bis sie von der Mutter noch einen Kuß bekommen hätten. Ida stand lachend auf, aber noch ehe sie die Thür erreichte, stürzten die lockigen Schelmchen in ihren Nachtröckchen auf sie zu und umklammerten sie. Als diese nun endlich beschwichtigt waren und dem fremden Herrn ein Händchen gegeben hatten, wobei sie treuherzig den Papa fragten: Ist das der Großvater, der uns diesen Sommer besuchen soll? — da fing das Jüngste im Nebenzimmer an zu lallen und nach der Mama zu weinen. Wollte sie Ruhe haben, so mußte Ida es auf ihren Schooß nehmen, wo es, unbekümmert um den schönen Seidenschmuck, den es zerknitterte, bald einschlief. Mit diesem Bilde von ihr schied Selvar. Sie gehörte nun einer Welt, an der er keinen Antheil hatte, und doch, sprach er leise, als er über die Schwelle schritt, hat sie einst nur mir gelebt! Als Sohling und Ida wieder allein waren, fragte sie: Hat es dich denn gar nicht getrübt, dem Manne zu begegnen, den ich vor dir geliebt habe?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:10:50Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:10:50Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910/74
Zitationshilfe: Kinkel, Johanna: Musikalische Orthodoxie. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 17. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 99–171. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_orthodoxie_1910/74>, abgerufen am 27.11.2024.