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Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912.

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damit das aktive, jede dreißigjährige auch das passive Wahl-
recht
, die Fürstin wie die Fabrikarbeiterin, die reiche Gutsbesitzersfrau wie
die arme Landarbeiterin, die Verheiratete wie die Ledige, die Steuerzahlerin
wie die Steuerfreie. Und nicht nur den Frauen selbst, auch dem Staats-
haushalt käme diese Mannigfaltigkeit zugute, weil jede Frau die im
eigenen Haushalt gesammelten Erfahrungen und gewonnenen
Werte seinem Jnteresse dienstbar machen könnte
: die Frau, die
einen großen Betrieb zu leiten hat, ihre größere Übersicht, ihre Dispositions-
fähigkeit; die Arbeiterfrau, die täglich die schwere Kunst üben muß, mit
wenigen Groschen hauszuhalten, ihre Sparsamkeit, ihre Einteilsamkeit.

Nun könnten Sie mir erwidern, daß auch das Reichstagswahlrecht
nach Aussage urteilsfähiger Leute seine Mängel hat, und daß ein Pro-
portionalwahlrecht anerkanntermaßen doch weit besser sein soll, indem es
Minoritäten Gelegenheit gibt, Kandidaten durchzubringen, und eine ge-
rechtere Wahlkreiseinteilung vorsieht. Darauf könnte ich Jhnen dann
zur Ehre des Reichstagswahlrechts entgegnen, daß der jüngst verstorbene
Abgeordnete Albert Traeger, laut des ihm von der Weserzeitung gewid-
meten Nachrufes, es für "das einzig gerechte und bei der Unvoll-
kommenheit aller menschlichen Dinge für das vollkommenste
Wahlrecht
" erklärt hat. Sicherlich bedeutet das Proportionalwahlrecht
noch einen Schritt über das Reichstagswahlrecht hinaus - aber selbst-
verständlich doch nur dann, wenn es sich auf dem allgemeinen,
gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht aufbaut, es also
zur Grundlage hat
, wie das z. B. jetzt schon für Staat und Ge-
meinden in Württemberg der Fall ist. Die Frauen sollten sich einmal
näher mit diesem Wahlrecht beschäftigen, da es ihnen vielleicht einmal
am ersten dazu verhilft, gewählt zu werden. Und unser Verband
legt sich ganz gewiß nicht in dem Sinne auf das Reichstags-
wahlrecht fest, daß er nicht jeden Ausbau, jedes über sich selbst
Hinauswachsen dieses unseres Grundprinzips mit Freuden
begrüßte
. Was er nicht unterstützen kann und darf, ist jede Ver-
schlechterung, ist jedes Wahlsystem, das nicht alle Frauen berücksichtigt.
Staatsbürgerrechte an alle Frauen verleiht aber momentan nur das all-
gemeine, gleiche oder ein auf ihm errichtetes Wahlsystem.

Nun weiß ich sehr wohl, daß eine Anzahl von Frauen denkt, es
sei ein kürzerer Weg, erst einmal irgend ein Wahlrecht zu erkämpfen.
Wenn dann erst einige Frauen politischen Einfluß haben, sollen die für
die andern eintreten oder im Verein mit den Männern Wahlgesetze
schaffen, die allen ihre Rechte gewährleisten. Hiergegen ist zu bemerken:
einmal sollten Frauen, die in der Selbständigkeit ihres Geschlechtes das

damit das aktive, jede dreißigjährige auch das passive Wahl-
recht
, die Fürstin wie die Fabrikarbeiterin, die reiche Gutsbesitzersfrau wie
die arme Landarbeiterin, die Verheiratete wie die Ledige, die Steuerzahlerin
wie die Steuerfreie. Und nicht nur den Frauen selbst, auch dem Staats-
haushalt käme diese Mannigfaltigkeit zugute, weil jede Frau die im
eigenen Haushalt gesammelten Erfahrungen und gewonnenen
Werte seinem Jnteresse dienstbar machen könnte
: die Frau, die
einen großen Betrieb zu leiten hat, ihre größere Übersicht, ihre Dispositions-
fähigkeit; die Arbeiterfrau, die täglich die schwere Kunst üben muß, mit
wenigen Groschen hauszuhalten, ihre Sparsamkeit, ihre Einteilsamkeit.

Nun könnten Sie mir erwidern, daß auch das Reichstagswahlrecht
nach Aussage urteilsfähiger Leute seine Mängel hat, und daß ein Pro-
portionalwahlrecht anerkanntermaßen doch weit besser sein soll, indem es
Minoritäten Gelegenheit gibt, Kandidaten durchzubringen, und eine ge-
rechtere Wahlkreiseinteilung vorsieht. Darauf könnte ich Jhnen dann
zur Ehre des Reichstagswahlrechts entgegnen, daß der jüngst verstorbene
Abgeordnete Albert Traeger, laut des ihm von der Weserzeitung gewid-
meten Nachrufes, es für „das einzig gerechte und bei der Unvoll-
kommenheit aller menschlichen Dinge für das vollkommenste
Wahlrecht
“ erklärt hat. Sicherlich bedeutet das Proportionalwahlrecht
noch einen Schritt über das Reichstagswahlrecht hinaus – aber selbst-
verständlich doch nur dann, wenn es sich auf dem allgemeinen,
gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht aufbaut, es also
zur Grundlage hat
, wie das z. B. jetzt schon für Staat und Ge-
meinden in Württemberg der Fall ist. Die Frauen sollten sich einmal
näher mit diesem Wahlrecht beschäftigen, da es ihnen vielleicht einmal
am ersten dazu verhilft, gewählt zu werden. Und unser Verband
legt sich ganz gewiß nicht in dem Sinne auf das Reichstags-
wahlrecht fest, daß er nicht jeden Ausbau, jedes über sich selbst
Hinauswachsen dieses unseres Grundprinzips mit Freuden
begrüßte
. Was er nicht unterstützen kann und darf, ist jede Ver-
schlechterung, ist jedes Wahlsystem, das nicht alle Frauen berücksichtigt.
Staatsbürgerrechte an alle Frauen verleiht aber momentan nur das all-
gemeine, gleiche oder ein auf ihm errichtetes Wahlsystem.

Nun weiß ich sehr wohl, daß eine Anzahl von Frauen denkt, es
sei ein kürzerer Weg, erst einmal irgend ein Wahlrecht zu erkämpfen.
Wenn dann erst einige Frauen politischen Einfluß haben, sollen die für
die andern eintreten oder im Verein mit den Männern Wahlgesetze
schaffen, die allen ihre Rechte gewährleisten. Hiergegen ist zu bemerken:
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[21/0021] damit das aktive, jede dreißigjährige auch das passive Wahl- recht, die Fürstin wie die Fabrikarbeiterin, die reiche Gutsbesitzersfrau wie die arme Landarbeiterin, die Verheiratete wie die Ledige, die Steuerzahlerin wie die Steuerfreie. Und nicht nur den Frauen selbst, auch dem Staats- haushalt käme diese Mannigfaltigkeit zugute, weil jede Frau die im eigenen Haushalt gesammelten Erfahrungen und gewonnenen Werte seinem Jnteresse dienstbar machen könnte: die Frau, die einen großen Betrieb zu leiten hat, ihre größere Übersicht, ihre Dispositions- fähigkeit; die Arbeiterfrau, die täglich die schwere Kunst üben muß, mit wenigen Groschen hauszuhalten, ihre Sparsamkeit, ihre Einteilsamkeit. Nun könnten Sie mir erwidern, daß auch das Reichstagswahlrecht nach Aussage urteilsfähiger Leute seine Mängel hat, und daß ein Pro- portionalwahlrecht anerkanntermaßen doch weit besser sein soll, indem es Minoritäten Gelegenheit gibt, Kandidaten durchzubringen, und eine ge- rechtere Wahlkreiseinteilung vorsieht. Darauf könnte ich Jhnen dann zur Ehre des Reichstagswahlrechts entgegnen, daß der jüngst verstorbene Abgeordnete Albert Traeger, laut des ihm von der Weserzeitung gewid- meten Nachrufes, es für „das einzig gerechte und bei der Unvoll- kommenheit aller menschlichen Dinge für das vollkommenste Wahlrecht“ erklärt hat. Sicherlich bedeutet das Proportionalwahlrecht noch einen Schritt über das Reichstagswahlrecht hinaus – aber selbst- verständlich doch nur dann, wenn es sich auf dem allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht aufbaut, es also zur Grundlage hat, wie das z. B. jetzt schon für Staat und Ge- meinden in Württemberg der Fall ist. Die Frauen sollten sich einmal näher mit diesem Wahlrecht beschäftigen, da es ihnen vielleicht einmal am ersten dazu verhilft, gewählt zu werden. Und unser Verband legt sich ganz gewiß nicht in dem Sinne auf das Reichstags- wahlrecht fest, daß er nicht jeden Ausbau, jedes über sich selbst Hinauswachsen dieses unseres Grundprinzips mit Freuden begrüßte. Was er nicht unterstützen kann und darf, ist jede Ver- schlechterung, ist jedes Wahlsystem, das nicht alle Frauen berücksichtigt. Staatsbürgerrechte an alle Frauen verleiht aber momentan nur das all- gemeine, gleiche oder ein auf ihm errichtetes Wahlsystem. Nun weiß ich sehr wohl, daß eine Anzahl von Frauen denkt, es sei ein kürzerer Weg, erst einmal irgend ein Wahlrecht zu erkämpfen. Wenn dann erst einige Frauen politischen Einfluß haben, sollen die für die andern eintreten oder im Verein mit den Männern Wahlgesetze schaffen, die allen ihre Rechte gewährleisten. Hiergegen ist zu bemerken: einmal sollten Frauen, die in der Selbständigkeit ihres Geschlechtes das

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Anna Pfundt: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2014-07-16T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2014-07-16T11:00:00Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912/21>, abgerufen am 21.11.2024.