Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912.

Bild:
<< vorherige Seite

einem eben solchen Männerwahlrecht aufbauen könne, es also zur selbst-
verständlichen Voraussetzung habe.

Auch der Kompromißantrag von Fräulein Lischnewska, die damals
dringend vor dem Antrag Hessen warnte, weil er die Gefahr einer neuen
Spaltung in sich trüge, sollte dieser Verständigung dienen. Sie befür-
wortete einen Zusammenschluß aller Stimmrechtsverbände zu einem
"Bund deutscher Stimmrechtsverbände", der Sitz und Stimme im
Weltbund hat. Jeder kann dann seinem Prinzip treu bleiben. Diese
Jdee scheint mir auch heute noch zur Lösung der Einigkeits-
frage die glücklichste
. Sie wurde behufs weiterer Ausarbeitung einer
Kommission überwiesen. - Der Antrag Bayern, als der weitergehende,
stand vor dem Antrag Hessen zur Beratung; er wurde mit großer
Majorität, 109 gegen 23 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen, ange-
nommen, und damit hatte der Deutsche Verband sich abermals
zu seinem Grundprinzip:

allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht
bekannt.

Sehr scharf kam die Differenz zwischen dem Deutschen Verband
und der deutschen Vereinigung zum Ausdruck auf dem Berliner Frauen-
kongreß im Februar dieses Jahres.

Während Frau Cauer energisch betonte, daß der Deutsche Verband
an seinem Grundprinzip, dem Grundprinzip auch der Einigung des
deutschen Vaterlandes, festhalten müsse aus Gerechtigkeitsgründen: weil
wir wollen, daß jede, auch die geringste Frau ihr Recht bekommt, er-
klärte Frau Fischer-Eckert, die Vorsitzende der Gegenorganisation, etwa
folgendes: Das absolut Sittliche ist nicht der einzige Stern, der
uns leitet, sondern wir wollen praktische Politik treiben. Wir treten
auch nicht an die Öffentlichkeit, indem wir marktschreierisch die Phrase
der Gerechtigkeit verkünden. Aber wir suchen alle, auch die konservativen
Frauen zu sammeln. Wir schalten zu diesem Zweck die Wahlrechtsfrage
bewußt aus, und als klare Köpfe verquicken wir nicht, wie unklare
Schwärmer, Frauenstimmrecht und Reichstagswahlrecht!

An diese Auseinandersetzungen schloß sich dann nachmittags die
außerordentliche Generalversammlung unseres Verbandes, einberufen auf
das Betreiben einiger rheinisch-westfälischer Ortsgruppen, die den in
Hamburg mit so großer Majorität angenommenen § 3 wieder in Frage
stellten durch erneutes Einbringen des hessischen Antrages. Unter der
Hand hatte die Ortsgruppe Dortmund sich an Landesvereine und Orts-
gruppen gewandt mit der Bitte um ihre Unterstützung zur Einberufung
einer außerordentlichen Generalversammlung, auf der der Sturz des § 3

einem eben solchen Männerwahlrecht aufbauen könne, es also zur selbst-
verständlichen Voraussetzung habe.

Auch der Kompromißantrag von Fräulein Lischnewska, die damals
dringend vor dem Antrag Hessen warnte, weil er die Gefahr einer neuen
Spaltung in sich trüge, sollte dieser Verständigung dienen. Sie befür-
wortete einen Zusammenschluß aller Stimmrechtsverbände zu einem
Bund deutscher Stimmrechtsverbände“, der Sitz und Stimme im
Weltbund hat. Jeder kann dann seinem Prinzip treu bleiben. Diese
Jdee scheint mir auch heute noch zur Lösung der Einigkeits-
frage die glücklichste
. Sie wurde behufs weiterer Ausarbeitung einer
Kommission überwiesen. – Der Antrag Bayern, als der weitergehende,
stand vor dem Antrag Hessen zur Beratung; er wurde mit großer
Majorität, 109 gegen 23 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen, ange-
nommen, und damit hatte der Deutsche Verband sich abermals
zu seinem Grundprinzip:

allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht
bekannt.

Sehr scharf kam die Differenz zwischen dem Deutschen Verband
und der deutschen Vereinigung zum Ausdruck auf dem Berliner Frauen-
kongreß im Februar dieses Jahres.

Während Frau Cauer energisch betonte, daß der Deutsche Verband
an seinem Grundprinzip, dem Grundprinzip auch der Einigung des
deutschen Vaterlandes, festhalten müsse aus Gerechtigkeitsgründen: weil
wir wollen, daß jede, auch die geringste Frau ihr Recht bekommt, er-
klärte Frau Fischer-Eckert, die Vorsitzende der Gegenorganisation, etwa
folgendes: Das absolut Sittliche ist nicht der einzige Stern, der
uns leitet, sondern wir wollen praktische Politik treiben. Wir treten
auch nicht an die Öffentlichkeit, indem wir marktschreierisch die Phrase
der Gerechtigkeit verkünden. Aber wir suchen alle, auch die konservativen
Frauen zu sammeln. Wir schalten zu diesem Zweck die Wahlrechtsfrage
bewußt aus, und als klare Köpfe verquicken wir nicht, wie unklare
Schwärmer, Frauenstimmrecht und Reichstagswahlrecht!

An diese Auseinandersetzungen schloß sich dann nachmittags die
außerordentliche Generalversammlung unseres Verbandes, einberufen auf
das Betreiben einiger rheinisch-westfälischer Ortsgruppen, die den in
Hamburg mit so großer Majorität angenommenen § 3 wieder in Frage
stellten durch erneutes Einbringen des hessischen Antrages. Unter der
Hand hatte die Ortsgruppe Dortmund sich an Landesvereine und Orts-
gruppen gewandt mit der Bitte um ihre Unterstützung zur Einberufung
einer außerordentlichen Generalversammlung, auf der der Sturz des § 3

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0009" n="9"/>
einem eben solchen Männerwahlrecht aufbauen könne, es also zur selbst-<lb/>
verständlichen Voraussetzung habe.</p><lb/>
        <p>Auch der Kompromißantrag von Fräulein Lischnewska, die damals<lb/>
dringend vor dem Antrag Hessen warnte, weil er die Gefahr einer neuen<lb/>
Spaltung in sich trüge, sollte dieser Verständigung dienen. Sie befür-<lb/>
wortete einen Zusammenschluß aller Stimmrechtsverbände zu einem<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">Bund deutscher Stimmrechtsverbände</hi>&#x201C;, der Sitz und Stimme im<lb/>
Weltbund hat. Jeder kann dann seinem Prinzip treu bleiben. <hi rendition="#g">Diese<lb/>
Jdee scheint mir auch heute noch zur Lösung der Einigkeits-<lb/>
frage die glücklichste</hi>. Sie wurde behufs weiterer Ausarbeitung einer<lb/>
Kommission überwiesen. &#x2013; Der Antrag Bayern, als der weitergehende,<lb/>
stand vor dem Antrag Hessen zur Beratung; er wurde mit großer<lb/>
Majorität, 109 gegen 23 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen, ange-<lb/>
nommen, und <hi rendition="#g"><choice><sic>damt</sic><corr>damit</corr></choice> hatte der Deutsche Verband sich abermals<lb/>
zu seinem Grundprinzip:</hi><lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">allgemeines, gleiches, geheimes und direktes
 Wahlrecht</hi></hi></hi><lb/>
bekannt.</p><lb/>
        <p>Sehr scharf kam die Differenz zwischen dem Deutschen Verband<lb/>
und der deutschen Vereinigung zum Ausdruck auf dem Berliner Frauen-<lb/>
kongreß im Februar dieses Jahres.</p><lb/>
        <p>Während Frau Cauer energisch betonte, daß der Deutsche Verband<lb/>
an seinem Grundprinzip, dem Grundprinzip auch der Einigung des<lb/>
deutschen Vaterlandes, festhalten müsse aus Gerechtigkeitsgründen: weil<lb/>
wir wollen, daß jede, auch die geringste Frau ihr Recht bekommt, er-<lb/>
klärte Frau Fischer-Eckert, die Vorsitzende der Gegenorganisation, etwa<lb/>
folgendes: Das absolut Sittliche ist nicht der einzige Stern, der<lb/>
uns leitet, sondern wir wollen praktische Politik treiben. Wir treten<lb/>
auch nicht an die Öffentlichkeit, indem wir marktschreierisch die Phrase<lb/>
der Gerechtigkeit verkünden. Aber wir suchen alle, auch die konservativen<lb/>
Frauen zu sammeln. Wir schalten zu diesem Zweck die Wahlrechtsfrage<lb/>
bewußt aus, und als klare Köpfe verquicken wir nicht, wie unklare<lb/>
Schwärmer, Frauenstimmrecht und Reichstagswahlrecht!</p><lb/>
        <p>An diese Auseinandersetzungen schloß sich dann nachmittags die<lb/>
außerordentliche Generalversammlung unseres Verbandes, einberufen auf<lb/>
das Betreiben einiger rheinisch-westfälischer Ortsgruppen, die den in<lb/>
Hamburg mit so großer Majorität angenommenen § 3 wieder in Frage<lb/>
stellten durch erneutes Einbringen des hessischen Antrages. Unter der<lb/>
Hand hatte die Ortsgruppe Dortmund sich an Landesvereine und Orts-<lb/>
gruppen gewandt mit der Bitte um ihre Unterstützung zur Einberufung<lb/>
einer außerordentlichen Generalversammlung, auf der der Sturz des § 3<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0009] einem eben solchen Männerwahlrecht aufbauen könne, es also zur selbst- verständlichen Voraussetzung habe. Auch der Kompromißantrag von Fräulein Lischnewska, die damals dringend vor dem Antrag Hessen warnte, weil er die Gefahr einer neuen Spaltung in sich trüge, sollte dieser Verständigung dienen. Sie befür- wortete einen Zusammenschluß aller Stimmrechtsverbände zu einem „Bund deutscher Stimmrechtsverbände“, der Sitz und Stimme im Weltbund hat. Jeder kann dann seinem Prinzip treu bleiben. Diese Jdee scheint mir auch heute noch zur Lösung der Einigkeits- frage die glücklichste. Sie wurde behufs weiterer Ausarbeitung einer Kommission überwiesen. – Der Antrag Bayern, als der weitergehende, stand vor dem Antrag Hessen zur Beratung; er wurde mit großer Majorität, 109 gegen 23 Stimmen bei 12 Stimmenthaltungen, ange- nommen, und damit hatte der Deutsche Verband sich abermals zu seinem Grundprinzip: allgemeines, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht bekannt. Sehr scharf kam die Differenz zwischen dem Deutschen Verband und der deutschen Vereinigung zum Ausdruck auf dem Berliner Frauen- kongreß im Februar dieses Jahres. Während Frau Cauer energisch betonte, daß der Deutsche Verband an seinem Grundprinzip, dem Grundprinzip auch der Einigung des deutschen Vaterlandes, festhalten müsse aus Gerechtigkeitsgründen: weil wir wollen, daß jede, auch die geringste Frau ihr Recht bekommt, er- klärte Frau Fischer-Eckert, die Vorsitzende der Gegenorganisation, etwa folgendes: Das absolut Sittliche ist nicht der einzige Stern, der uns leitet, sondern wir wollen praktische Politik treiben. Wir treten auch nicht an die Öffentlichkeit, indem wir marktschreierisch die Phrase der Gerechtigkeit verkünden. Aber wir suchen alle, auch die konservativen Frauen zu sammeln. Wir schalten zu diesem Zweck die Wahlrechtsfrage bewußt aus, und als klare Köpfe verquicken wir nicht, wie unklare Schwärmer, Frauenstimmrecht und Reichstagswahlrecht! An diese Auseinandersetzungen schloß sich dann nachmittags die außerordentliche Generalversammlung unseres Verbandes, einberufen auf das Betreiben einiger rheinisch-westfälischer Ortsgruppen, die den in Hamburg mit so großer Majorität angenommenen § 3 wieder in Frage stellten durch erneutes Einbringen des hessischen Antrages. Unter der Hand hatte die Ortsgruppe Dortmund sich an Landesvereine und Orts- gruppen gewandt mit der Bitte um ihre Unterstützung zur Einberufung einer außerordentlichen Generalversammlung, auf der der Sturz des § 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Anna Pfundt: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2014-07-16T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2014-07-16T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912/9
Zitationshilfe: Kirchhoff, Auguste: Warum muß der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht sich zum allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrecht bekennen? Bremen, 1912, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kirchhoff_frauenstimmrecht_1912/9>, abgerufen am 21.11.2024.