Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.pkl_088.001 Ja leider! hat man der Poesie gar häufig nur das pkl_088.024 pkl_088.001 Ja leider! hat man der Poesie gar häufig nur das pkl_088.024 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0114" n="88"/><lb n="pkl_088.001"/> die <hi rendition="#g">Vaterlandsliebe,</hi> die Theilnahme an vaterländischen <lb n="pkl_088.002"/> Jnteressen zu wecken oder zu steigern. Es ist <lb n="pkl_088.003"/> jedoch nicht genug, daß diese Tendenz heraustrete, ja <lb n="pkl_088.004"/> auch nicht genug, daß das Gedicht <hi rendition="#g">Begeisterung</hi> <lb n="pkl_088.005"/> athme, vielmehr ist vor allem nöthig, daß ihm der <lb n="pkl_088.006"/> <hi rendition="#g">poetische Gehalt</hi> nicht mangele. Dieser allein bestimmt <lb n="pkl_088.007"/> seinen wahren Werth. Das haben gar manche <lb n="pkl_088.008"/> unserer Vaterlandsdichter viel zu wenig bedacht. Wir <lb n="pkl_088.009"/> wollen schweigen von dem seichten Gehalt, von der oft <lb n="pkl_088.010"/> in jeder Hinsicht bejammernswerthen Armseligkeit, welche <lb n="pkl_088.011"/> die bei weitem größte Zahl <hi rendition="#g">derjenigen</hi> Lieder zeigt, <lb n="pkl_088.012"/> die bei feierlichen Veranlassungen den Fürsten überreicht, <lb n="pkl_088.013"/> die bei Vaterlandsfesten in die Zeitungen gerückt <lb n="pkl_088.014"/> oder an der Tafel gesungen werden — sie sind für einzelne <lb n="pkl_088.015"/> Tage und einzelne Zwecke bestimmt und <hi rendition="#g">gemacht</hi> <lb n="pkl_088.016"/> und haben für die Literatur keine oder doch nur <lb n="pkl_088.017"/> sehr geringe Bedeutung. Aber tief beklagen müssen wir es, <lb n="pkl_088.018"/> wenn auch in den <hi rendition="#g">Kriegs-</hi> und <hi rendition="#g">Freiheitsliedern,</hi> <lb n="pkl_088.019"/> und in den „<hi rendition="#g">politisch</hi>“ zubenannten Gedichten die <lb n="pkl_088.020"/> <hi rendition="#g">Poesie</hi> von der <hi rendition="#g">Tendenz</hi> in den <hi rendition="#g">Hintergrund</hi> geschoben, <lb n="pkl_088.021"/> oder gar <hi rendition="#g">erdrückt</hi> ist, wie es leider! bei <lb n="pkl_088.022"/> gar vielen der Fall ist.</p> <lb n="pkl_088.023"/> <p> Ja leider! hat man der Poesie gar häufig nur das <lb n="pkl_088.024"/> schöne <hi rendition="#g">Gewand</hi> gestohlen, um die Nüchternheit seiner <lb n="pkl_088.025"/> patriotischen Gefühle dadurch zu verdecken! leider schlägt <lb n="pkl_088.026"/> mancher Vaterlandsdichter, indem er die Ketten zu <lb n="pkl_088.027"/> lockern, die Fesseln zu lösen sucht, in welche man das <lb n="pkl_088.028"/> Vaterland in dieser oder jener Hinsicht geschlagen, die <lb n="pkl_088.029"/> freie Göttin Poesie, die <hi rendition="#g">Herrin,</hi> nicht <hi rendition="#g">Sklavin</hi> sein <lb n="pkl_088.030"/> soll, selbst in Ketten, damit die, an sich prosaische, <lb n="pkl_088.031"/> Tendenz allein das Regiment führe. So soll es, so </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [88/0114]
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die Vaterlandsliebe, die Theilnahme an vaterländischen pkl_088.002
Jnteressen zu wecken oder zu steigern. Es ist pkl_088.003
jedoch nicht genug, daß diese Tendenz heraustrete, ja pkl_088.004
auch nicht genug, daß das Gedicht Begeisterung pkl_088.005
athme, vielmehr ist vor allem nöthig, daß ihm der pkl_088.006
poetische Gehalt nicht mangele. Dieser allein bestimmt pkl_088.007
seinen wahren Werth. Das haben gar manche pkl_088.008
unserer Vaterlandsdichter viel zu wenig bedacht. Wir pkl_088.009
wollen schweigen von dem seichten Gehalt, von der oft pkl_088.010
in jeder Hinsicht bejammernswerthen Armseligkeit, welche pkl_088.011
die bei weitem größte Zahl derjenigen Lieder zeigt, pkl_088.012
die bei feierlichen Veranlassungen den Fürsten überreicht, pkl_088.013
die bei Vaterlandsfesten in die Zeitungen gerückt pkl_088.014
oder an der Tafel gesungen werden — sie sind für einzelne pkl_088.015
Tage und einzelne Zwecke bestimmt und gemacht pkl_088.016
und haben für die Literatur keine oder doch nur pkl_088.017
sehr geringe Bedeutung. Aber tief beklagen müssen wir es, pkl_088.018
wenn auch in den Kriegs- und Freiheitsliedern, pkl_088.019
und in den „politisch“ zubenannten Gedichten die pkl_088.020
Poesie von der Tendenz in den Hintergrund geschoben, pkl_088.021
oder gar erdrückt ist, wie es leider! bei pkl_088.022
gar vielen der Fall ist.
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Ja leider! hat man der Poesie gar häufig nur das pkl_088.024
schöne Gewand gestohlen, um die Nüchternheit seiner pkl_088.025
patriotischen Gefühle dadurch zu verdecken! leider schlägt pkl_088.026
mancher Vaterlandsdichter, indem er die Ketten zu pkl_088.027
lockern, die Fesseln zu lösen sucht, in welche man das pkl_088.028
Vaterland in dieser oder jener Hinsicht geschlagen, die pkl_088.029
freie Göttin Poesie, die Herrin, nicht Sklavin sein pkl_088.030
soll, selbst in Ketten, damit die, an sich prosaische, pkl_088.031
Tendenz allein das Regiment führe. So soll es, so
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