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Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

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der gegenwärtigen Zeit als Sprachform, doch ist pkl_118.002
im Grunde auch dann die Vergangenheit gemeint.

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Die Wirkung der epischen Poesie beruht pkl_118.004
zunächst im Stoffe selbst.
Deshalb wird sich gerade pkl_118.005
bei den epischen Dichtungsarten als wesentlichste pkl_118.006
Forderung die herausstellen, daß sie einen geeigneten, pkl_118.007
beziehungsweise wichtigen oder doch jedenfalls interessanten pkl_118.008
Stoff
behandeln, und zwar in einer, pkl_118.009
diesem Stoffe und dem guten Geschmacke entsprechenden pkl_118.010
Weise.

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§. 172. Den Stoff der epischen Poesie bildet pkl_118.012
immer eine, entweder wirklich geschehene, oder pkl_118.013
vom Dichter erfundene, meist unter menschlicher pkl_118.014
Mitwirkung erfolgte Begebenheit.
Wenn der pkl_118.015
Dichter die erzählte Handlung unter dem Einfluß pkl_118.016
übernatürlicher Mittel, unter Einwirkung höherer pkl_118.017
Wesen
vor sich gehen -- mit andern Worten das pkl_118.018
Wunderbare als Maschinerie eintreten läßt, so ist pkl_118.019
das der Regel nach nur dann zu billigen, wenn solcher pkl_118.020
Einfluß und solche Einwirkung auf menschlichen Glauben pkl_118.021
oder Aberglauben beruht; -- der Dichter darf, pkl_118.022
wenn auch mitunter aus den Kreisen des Menschenlebens, pkl_118.023
doch nie aus denen menschlicher Vorstellung heraustreten.

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pkl_118.025

§. 173. Da keine Begebenheit, zumal wenn sie pkl_118.026
eine ausgedehntere ist, isolirt für sich dasteht, sondern pkl_118.027
immer andere, wenn auch minder wichtige Begebenheiten pkl_118.028
im Gefolge führt, so hat der Dichter ferner darauf pkl_118.029
zu sehen, daß die Hauptbegebenheit zu den neben- pkl_118.030
oder untergeordneten Begebenheiten (gewöhnlich pkl_118.031
Episoden genannt) in richtiges Verhältniß komme.

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der gegenwärtigen Zeit als Sprachform, doch ist pkl_118.002
im Grunde auch dann die Vergangenheit gemeint.

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Die Wirkung der epischen Poesie beruht pkl_118.004
zunächst im Stoffe selbst.
Deshalb wird sich gerade pkl_118.005
bei den epischen Dichtungsarten als wesentlichste pkl_118.006
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immer eine, entweder wirklich geschehene, oder pkl_118.013
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Mitwirkung erfolgte Begebenheit.
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Dichter die erzählte Handlung unter dem Einfluß pkl_118.016
übernatürlicher Mittel, unter Einwirkung höherer pkl_118.017
Wesen
vor sich gehen — mit andern Worten das pkl_118.018
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doch nie aus denen menschlicher Vorstellung heraustreten.

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eine ausgedehntere ist, isolirt für sich dasteht, sondern pkl_118.027
immer andere, wenn auch minder wichtige Begebenheiten pkl_118.028
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[118/0144] pkl_118.001 der gegenwärtigen Zeit als Sprachform, doch ist pkl_118.002 im Grunde auch dann die Vergangenheit gemeint. pkl_118.003 Die Wirkung der epischen Poesie beruht pkl_118.004 zunächst im Stoffe selbst. Deshalb wird sich gerade pkl_118.005 bei den epischen Dichtungsarten als wesentlichste pkl_118.006 Forderung die herausstellen, daß sie einen geeigneten, pkl_118.007 beziehungsweise wichtigen oder doch jedenfalls interessanten pkl_118.008 Stoff behandeln, und zwar in einer, pkl_118.009 diesem Stoffe und dem guten Geschmacke entsprechenden pkl_118.010 Weise. pkl_118.011 §. 172. Den Stoff der epischen Poesie bildet pkl_118.012 immer eine, entweder wirklich geschehene, oder pkl_118.013 vom Dichter erfundene, meist unter menschlicher pkl_118.014 Mitwirkung erfolgte Begebenheit. Wenn der pkl_118.015 Dichter die erzählte Handlung unter dem Einfluß pkl_118.016 übernatürlicher Mittel, unter Einwirkung höherer pkl_118.017 Wesen vor sich gehen — mit andern Worten das pkl_118.018 Wunderbare als Maschinerie eintreten läßt, so ist pkl_118.019 das der Regel nach nur dann zu billigen, wenn solcher pkl_118.020 Einfluß und solche Einwirkung auf menschlichen Glauben pkl_118.021 oder Aberglauben beruht; — der Dichter darf, pkl_118.022 wenn auch mitunter aus den Kreisen des Menschenlebens, pkl_118.023 doch nie aus denen menschlicher Vorstellung heraustreten. pkl_118.024 pkl_118.025 §. 173. Da keine Begebenheit, zumal wenn sie pkl_118.026 eine ausgedehntere ist, isolirt für sich dasteht, sondern pkl_118.027 immer andere, wenn auch minder wichtige Begebenheiten pkl_118.028 im Gefolge führt, so hat der Dichter ferner darauf pkl_118.029 zu sehen, daß die Hauptbegebenheit zu den neben- pkl_118.030 oder untergeordneten Begebenheiten (gewöhnlich pkl_118.031 Episoden genannt) in richtiges Verhältniß komme.

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Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/144>, abgerufen am 08.05.2024.