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Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

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zurück. *)

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§. 220. Der Stoff (die Fabel) des Dramas ist pkl_156.004
entweder reine Erfindung des Dichters, oder er ist der pkl_156.005
Sagen- und Mährchenwelt, oder endlich der Geschichte pkl_156.006
entlehnt. Jn Rücksicht desselben -- sei er nun fingirt pkl_156.007
oder entlehnt -- ist an den Dichter die Forderung zu pkl_156.008
machen, daß er ihn mit ästhetischer Wahrheit pkl_156.009
behandele, dem ganzen Verlauf der Handlung Natürlichkeit pkl_156.010
verleihe. Wie weit er sich bei den entlehnten, pkl_156.011
namentlich den geschichtlichen Stoffen der Treue zu pkl_156.012
befleißigen habe, das bleibt seinem Ermessen überlassen, pkl_156.013
doch möchte das, was wir §. 214 Anmerkung erwähnt pkl_156.014
haben, auch hier Beachtung verdienen.

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§. 221. Nur eine Haupthandlung darf den Stoff pkl_156.016
des Dramas bilden, und diese muß sich, wie schon gesagt, pkl_156.017
vollständig vor dem Zuschauer oder Leser entwickeln, pkl_156.018
d. h. sie muß bei einem Punkte beginnen, von pkl_156.019
welchem aus sich der naturgemäße Zusammenhang der pkl_156.020
Begebenheiten nach Ursache und Wirkung erklären und pkl_156.021
überschauen läßt, und sie kann erst da, muß aber auch pkl_156.022
da enden, wo eine befriedigende Lösung der Katastrophe, pkl_156.023
auf die Alles hinarbeitet, statt gefunden hat. Die Einheit pkl_156.024
der Handlung
wird dadurch vermittelt, daß pkl_156.025
eine Person als Hauptperson, als Held herausgestellt pkl_156.026
wird. Der Held ist der Träger, wenn auch pkl_156.027
nicht immer der Leiter und Lenker der ganzen Handlung, pkl_156.028
er bildet den Mittelpunkt derselben, um seine

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Anmerkung. Denn Prolog und Epilog (siehe unten!), pkl_156.030
in welchen zuweilen auch die Person des Dichters vorkommt, pkl_156.031
sind nicht als wesentliche Theile des Dramas anzusehen.

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§. 220. Der Stoff (die Fabel) des Dramas ist pkl_156.004
entweder reine Erfindung des Dichters, oder er ist der pkl_156.005
Sagen- und Mährchenwelt, oder endlich der Geschichte pkl_156.006
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oder entlehnt — ist an den Dichter die Forderung zu pkl_156.008
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verleihe. Wie weit er sich bei den entlehnten, pkl_156.011
namentlich den geschichtlichen Stoffen der Treue zu pkl_156.012
befleißigen habe, das bleibt seinem Ermessen überlassen, pkl_156.013
doch möchte das, was wir §. 214 Anmerkung erwähnt pkl_156.014
haben, auch hier Beachtung verdienen.

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§. 221. Nur eine Haupthandlung darf den Stoff pkl_156.016
des Dramas bilden, und diese muß sich, wie schon gesagt, pkl_156.017
vollständig vor dem Zuschauer oder Leser entwickeln, pkl_156.018
d. h. sie muß bei einem Punkte beginnen, von pkl_156.019
welchem aus sich der naturgemäße Zusammenhang der pkl_156.020
Begebenheiten nach Ursache und Wirkung erklären und pkl_156.021
überschauen läßt, und sie kann erst da, muß aber auch pkl_156.022
da enden, wo eine befriedigende Lösung der Katastrophe, pkl_156.023
auf die Alles hinarbeitet, statt gefunden hat. Die Einheit pkl_156.024
der Handlung
wird dadurch vermittelt, daß pkl_156.025
eine Person als Hauptperson, als Held herausgestellt pkl_156.026
wird. Der Held ist der Träger, wenn auch pkl_156.027
nicht immer der Leiter und Lenker der ganzen Handlung, pkl_156.028
er bildet den Mittelpunkt derselben, um seine

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Anmerkung. Denn Prolog und Epilog (siehe unten!), pkl_156.030
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[156/0182] pkl_156.001 im Drama die Person des Dichters ganz und gar pkl_156.002 zurück. *) pkl_156.003 §. 220. Der Stoff (die Fabel) des Dramas ist pkl_156.004 entweder reine Erfindung des Dichters, oder er ist der pkl_156.005 Sagen- und Mährchenwelt, oder endlich der Geschichte pkl_156.006 entlehnt. Jn Rücksicht desselben — sei er nun fingirt pkl_156.007 oder entlehnt — ist an den Dichter die Forderung zu pkl_156.008 machen, daß er ihn mit ästhetischer Wahrheit pkl_156.009 behandele, dem ganzen Verlauf der Handlung Natürlichkeit pkl_156.010 verleihe. Wie weit er sich bei den entlehnten, pkl_156.011 namentlich den geschichtlichen Stoffen der Treue zu pkl_156.012 befleißigen habe, das bleibt seinem Ermessen überlassen, pkl_156.013 doch möchte das, was wir §. 214 Anmerkung erwähnt pkl_156.014 haben, auch hier Beachtung verdienen. pkl_156.015 §. 221. Nur eine Haupthandlung darf den Stoff pkl_156.016 des Dramas bilden, und diese muß sich, wie schon gesagt, pkl_156.017 vollständig vor dem Zuschauer oder Leser entwickeln, pkl_156.018 d. h. sie muß bei einem Punkte beginnen, von pkl_156.019 welchem aus sich der naturgemäße Zusammenhang der pkl_156.020 Begebenheiten nach Ursache und Wirkung erklären und pkl_156.021 überschauen läßt, und sie kann erst da, muß aber auch pkl_156.022 da enden, wo eine befriedigende Lösung der Katastrophe, pkl_156.023 auf die Alles hinarbeitet, statt gefunden hat. Die Einheit pkl_156.024 der Handlung wird dadurch vermittelt, daß pkl_156.025 eine Person als Hauptperson, als Held herausgestellt pkl_156.026 wird. Der Held ist der Träger, wenn auch pkl_156.027 nicht immer der Leiter und Lenker der ganzen Handlung, pkl_156.028 er bildet den Mittelpunkt derselben, um seine *) pkl_156.029 Anmerkung. Denn Prolog und Epilog (siehe unten!), pkl_156.030 in welchen zuweilen auch die Person des Dichters vorkommt, pkl_156.031 sind nicht als wesentliche Theile des Dramas anzusehen.

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Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/182>, abgerufen am 01.05.2024.