Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.pkl_020.001 Glückselig! wem sie nur pkl_020.002 pkl_020.003Die äußre Schale weis't. Göthe. pkl_020.004 4) Befiehl du deine Wege pkl_020.005 pkl_020.006Und was dein Herze kränkt, u. s. w. P. Gerhard. pkl_020.007 5) Der Mond ist aufgegangen, pkl_020.008 pkl_020.010Die goldnen Sterne prangen pkl_020.009 Am Himmel hell und klar. u. s. w. Claudius. pkl_020.011 6) Das Wasser rauscht, das Wasser schwoll, pkl_020.012 pkl_020.013Ein Fischer saß daran. u. s. w. Göthe. pkl_020.014 7) Der alte Vater Martin war pkl_020.015 pkl_020.016Mit Ehren sechs und achtzig Jahr. u. s. w. Mahlmann. pkl_020.017 8) Wie dieser Sand vor Wind und Fluth pkl_020.018 pkl_020.021Sich jagt in wirbelnden Gestalten, pkl_020.019 So fährt und schweift mein irrer Muth, pkl_020.020 Und keine Stätte kann ihn halten. Freiligrath. pkl_020.022 §. 27. Der fünffüßige Jambus ist durch Lessing pkl_020.023 Beispiele: pkl_020.0321) Das Wort ist todt, | der Glaube macht lebendig. pkl_020.033Schiller. pkl_021.001 2) Was härter treffe, | Kränkung oder Schimpf, pkl_021.002 pkl_021.004Will ich nicht untersuchen |; jene dringt pkl_021.003 Jn's tiefe Mark | und dieser ritzt die Haut. Göthe. pkl_021.005 Namentlich im Drama wird der Vers oft durch pkl_021.006 §. 28. Der aus sechs Füßen bestehende jambische pkl_021.008 1) als einfacher sechsfüßiger Vers. Die Cäsur pkl_021.011 Der Thränen Gabe |, sie versöhnt den grimmsten Schmerz. pkl_021.013Göthe. pkl_021.014 Ein großer Mensch spricht edel | von der Welt und sich. pkl_021.015Platen. pkl_021.016 §. 29. 2) als Alexandriner, welcher aus sechs pkl_021.017 Beispiele: pkl_021.0301) Vor Jedem steht ein Bild | des, was er werden soll; pkl_021.031 pkl_021.032So lang er das nicht ist |, ist nicht sein Friede voll. Rückert. pkl_020.001 Glückselig! wem sie nur pkl_020.002 pkl_020.003Die äußre Schale weis't. 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Häufig erscheint er mit einer überzähligen Silbe <lb n="pkl_020.030"/> am Ende.</p> <lb n="pkl_020.031"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Beispiele</hi>:</hi> </p> <lb n="pkl_020.032"/> <p>1) <lg><l>Das Wort ist todt, | der Glaube macht lebendig.</l></lg> <lb n="pkl_020.033"/> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Schiller</hi>.</hi></p> <fw type="pageNum" place="top">— 21 —</fw> <lb n="pkl_021.001"/> <p>2) <lg><l>Was härter treffe, | Kränkung oder Schimpf,</l><lb n="pkl_021.002"/><l>Will ich nicht untersuchen |; jene dringt</l><lb n="pkl_021.003"/><l>Jn's tiefe Mark | und dieser ritzt die Haut.</l></lg> <lb n="pkl_021.004"/> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Göthe</hi>.</hi></p> <lb n="pkl_021.005"/> <p> Namentlich im Drama wird der Vers oft durch <lb n="pkl_021.006"/> eine logische Pause unterbrochen.</p> <lb n="pkl_021.007"/> <p> §. 28. 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Nach französischen <lb n="pkl_021.019"/> Vorbildern in die deutsche Metrik eingeführt, fand <lb n="pkl_021.020"/> dieser Vers besonders bei den schlesischen Dichtern des <lb n="pkl_021.021"/> siebzehnten Jahrhunderts seine Pflege (daher: Jahrhundert <lb n="pkl_021.022"/> des Alexandriners!). Später wurde er, zumal <lb n="pkl_021.023"/> durch <hi rendition="#g">Klopstock</hi> und <hi rendition="#g">Lessing,</hi> ganz verdrängt und <lb n="pkl_021.024"/> verpönt. Erst in der neuesten Zeit ist er wieder in <lb n="pkl_021.025"/> Aufnahme gekommen. <hi rendition="#g">Freiligrath</hi> verbindet ihn mit <lb n="pkl_021.026"/> vier- und fünffüßigen Jamben und vermeidet so die <lb n="pkl_021.027"/> steife Einförmigkeit, die man ihm nicht mit Unrecht <lb n="pkl_021.028"/> zum Vorwurf macht.</p> <lb n="pkl_021.029"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Beispiele</hi>:</hi> </p> <lb n="pkl_021.030"/> <p>1) <lg><l>Vor Jedem steht ein Bild | des, was er werden soll;</l><lb n="pkl_021.031"/><l>So lang er das nicht ist |, ist nicht sein Friede voll.</l></lg> <lb n="pkl_021.032"/> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Rückert</hi>.</hi></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [20/0046]
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pkl_020.001
Glückselig! wem sie nur pkl_020.002
Die äußre Schale weis't.
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Göthe.
pkl_020.004
4) Befiehl du deine Wege pkl_020.005
Und was dein Herze kränkt, u. s. w.
pkl_020.006
P. Gerhard.
pkl_020.007
5) Der Mond ist aufgegangen, pkl_020.008
Die goldnen Sterne prangen pkl_020.009
Am Himmel hell und klar. u. s. w.
pkl_020.010
Claudius.
pkl_020.011
6) Das Wasser rauscht, das Wasser schwoll, pkl_020.012
Ein Fischer saß daran. u. s. w.
pkl_020.013
Göthe.
pkl_020.014
7) Der alte Vater Martin war pkl_020.015
Mit Ehren sechs und achtzig Jahr. u. s. w.
pkl_020.016
Mahlmann.
pkl_020.017
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Sich jagt in wirbelnden Gestalten, pkl_020.019
So fährt und schweift mein irrer Muth, pkl_020.020
Und keine Stätte kann ihn halten.
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Freiligrath.
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§. 27. Der fünffüßige Jambus ist durch Lessing pkl_020.023
in das deutsche Drama eingeführt und wird pkl_020.024
seitdem vorherrschend in demselben gebraucht. Außerdem pkl_020.025
findet er seine Anwendung in der Stanze, im pkl_020.026
Sonett u. s. w. (siehe §. 91 ff.). Die Cäsur erhält pkl_020.027
er nach dem zweiten, in der Mitte oder am Ende des pkl_020.028
dritten oder wohl auch in der Mitte des vierten pkl_020.029
Fußes. Häufig erscheint er mit einer überzähligen Silbe pkl_020.030
am Ende.
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Beispiele:
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1) Das Wort ist todt, | der Glaube macht lebendig.
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Schiller.
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2) Was härter treffe, | Kränkung oder Schimpf, pkl_021.002
Will ich nicht untersuchen |; jene dringt pkl_021.003
Jn's tiefe Mark | und dieser ritzt die Haut.
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Göthe.
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Namentlich im Drama wird der Vers oft durch pkl_021.006
eine logische Pause unterbrochen.
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§. 28. Der aus sechs Füßen bestehende jambische pkl_021.008
Vers kommt im Deutschen häufig und in mehreren pkl_021.009
Formen vor; nämlich:
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1) als einfacher sechsfüßiger Vers. Die Cäsur pkl_021.011
schneidet den dritten oder den vierten Takt. Z. B.
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Der Thränen Gabe |, sie versöhnt den grimmsten Schmerz.
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Göthe.
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Ein großer Mensch spricht edel | von der Welt und sich.
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Platen.
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§. 29. 2) als Alexandriner, welcher aus sechs pkl_021.017
(oft überzähligen) Jamben besteht und nach dem dritten pkl_021.018
Fuße immer eine Cäsur hat. Nach französischen pkl_021.019
Vorbildern in die deutsche Metrik eingeführt, fand pkl_021.020
dieser Vers besonders bei den schlesischen Dichtern des pkl_021.021
siebzehnten Jahrhunderts seine Pflege (daher: Jahrhundert pkl_021.022
des Alexandriners!). Später wurde er, zumal pkl_021.023
durch Klopstock und Lessing, ganz verdrängt und pkl_021.024
verpönt. Erst in der neuesten Zeit ist er wieder in pkl_021.025
Aufnahme gekommen. Freiligrath verbindet ihn mit pkl_021.026
vier- und fünffüßigen Jamben und vermeidet so die pkl_021.027
steife Einförmigkeit, die man ihm nicht mit Unrecht pkl_021.028
zum Vorwurf macht.
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Beispiele:
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1) Vor Jedem steht ein Bild | des, was er werden soll; pkl_021.031
So lang er das nicht ist |, ist nicht sein Friede voll.
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Rückert.
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Zitationshilfe: | Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/46>, abgerufen am 16.07.2024. |