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Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

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§. 54. Von den bessern Kunstdichtern werden die pkl_035.002
unregelmäßigen Verse keineswegs immer aus Bequemlichkeit pkl_035.003
gewählt; vielmehr wird von ihnen die Freiheit, pkl_035.004
die solche Verse gestatten, häufig zu rein künstlerischen pkl_035.005
Zwecken benutzt. Dies geschieht, indem sie die Stellung pkl_035.006
der Silben in den Versen und namentlich die Zahl pkl_035.007
und Vertheilung der tonlosen Silben dem betreffenden pkl_035.008
Gedanken möglichst entsprechend zu machen suchen. Je pkl_035.009
nachdem der Gang des Gedichts (in Bezug auf den pkl_035.010
Jnhalt) mehr munter oder mehr ernst, mehr leidenschaftlich pkl_035.011
oder mehr ruhig &c. wird, häufen oder vermindern pkl_035.012
sie die Zahl der tonlosen Silben u. s. w., nehmen pkl_035.013
dabei auch auf den rhythmischen Wohlklang die pkl_035.014
erforderliche Rücksicht. Da kann es dann nicht fehlen, pkl_035.015
daß unregelmäßige Verse mitunter vor den regelmäßigsten pkl_035.016
den Vorzug verdienen.

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§. 55. Gemischte Verse, bei denen die im vorigen pkl_035.018
Paragraphen dargelegten Rücksichten nicht stattfinden, pkl_035.019
die vielmehr Licenzen aller Art an sich tragen, pflegt pkl_035.020
man auch Knittelverse zu nennen. Jn naiv-komischen pkl_035.021
Gedichten sind dieselben oft von (relativ) großer pkl_035.022
Wirkung; als Versart betrachtet, nehmen sie aber pkl_035.023
die letzte, unbedeutendste Stelle ein.

pkl_035.024

Beispiel:

pkl_035.025

Sintemal und immassen drei Jahre pkl_035.026
Und einige Wochen hieselbst ware pkl_035.027
Herr Hieronimus Jobsius pkl_035.028
Als Theologiä Studiosus. u. s. w.
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Kortüm, Jobsiade.

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§. 54. Von den bessern Kunstdichtern werden die pkl_035.002
unregelmäßigen Verse keineswegs immer aus Bequemlichkeit pkl_035.003
gewählt; vielmehr wird von ihnen die Freiheit, pkl_035.004
die solche Verse gestatten, häufig zu rein künstlerischen pkl_035.005
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Jnhalt) mehr munter oder mehr ernst, mehr leidenschaftlich pkl_035.011
oder mehr ruhig &c. wird, häufen oder vermindern pkl_035.012
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erforderliche Rücksicht. Da kann es dann nicht fehlen, pkl_035.015
daß unregelmäßige Verse mitunter vor den regelmäßigsten pkl_035.016
den Vorzug verdienen.

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§. 55. Gemischte Verse, bei denen die im vorigen pkl_035.018
Paragraphen dargelegten Rücksichten nicht stattfinden, pkl_035.019
die vielmehr Licenzen aller Art an sich tragen, pflegt pkl_035.020
man auch Knittelverse zu nennen. Jn naiv-komischen pkl_035.021
Gedichten sind dieselben oft von (relativ) großer pkl_035.022
Wirkung; als Versart betrachtet, nehmen sie aber pkl_035.023
die letzte, unbedeutendste Stelle ein.

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Beispiel:

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Sintemal und immassen drei Jahre pkl_035.026
Und einige Wochen hieselbst ware pkl_035.027
Herr Hieronimus Jobsius pkl_035.028
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[35/0061] pkl_035.001 §. 54. Von den bessern Kunstdichtern werden die pkl_035.002 unregelmäßigen Verse keineswegs immer aus Bequemlichkeit pkl_035.003 gewählt; vielmehr wird von ihnen die Freiheit, pkl_035.004 die solche Verse gestatten, häufig zu rein künstlerischen pkl_035.005 Zwecken benutzt. Dies geschieht, indem sie die Stellung pkl_035.006 der Silben in den Versen und namentlich die Zahl pkl_035.007 und Vertheilung der tonlosen Silben dem betreffenden pkl_035.008 Gedanken möglichst entsprechend zu machen suchen. Je pkl_035.009 nachdem der Gang des Gedichts (in Bezug auf den pkl_035.010 Jnhalt) mehr munter oder mehr ernst, mehr leidenschaftlich pkl_035.011 oder mehr ruhig &c. wird, häufen oder vermindern pkl_035.012 sie die Zahl der tonlosen Silben u. s. w., nehmen pkl_035.013 dabei auch auf den rhythmischen Wohlklang die pkl_035.014 erforderliche Rücksicht. Da kann es dann nicht fehlen, pkl_035.015 daß unregelmäßige Verse mitunter vor den regelmäßigsten pkl_035.016 den Vorzug verdienen. pkl_035.017 §. 55. Gemischte Verse, bei denen die im vorigen pkl_035.018 Paragraphen dargelegten Rücksichten nicht stattfinden, pkl_035.019 die vielmehr Licenzen aller Art an sich tragen, pflegt pkl_035.020 man auch Knittelverse zu nennen. Jn naiv-komischen pkl_035.021 Gedichten sind dieselben oft von (relativ) großer pkl_035.022 Wirkung; als Versart betrachtet, nehmen sie aber pkl_035.023 die letzte, unbedeutendste Stelle ein. pkl_035.024 Beispiel: pkl_035.025 Sintemal und immassen drei Jahre pkl_035.026 Und einige Wochen hieselbst ware pkl_035.027 Herr Hieronimus Jobsius pkl_035.028 Als Theologiä Studiosus. u. s. w. pkl_035.029 Kortüm, Jobsiade. pkl_035.030 [Abbildung]

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Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/61>, abgerufen am 05.05.2024.