Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

kehrungen zum Bade besorgte, betrachtete er ihre einnehmende Gestalt. Ihr Haar, in dunkeln Locken schwellend, war ihr, als sie niederkniete, auf ihre jungen Brüste herabgerollt; ein Zug von ausnehmender Anmuth spielte um ihre Lippen und um ihre langen, über die gesenkten Augen hervorragenden Augenwimpern; er hätte, bis auf die Farbe, die ihm anstößig war, schwören mögen, daß er nie etwas Schöneres gesehen. Dabei fiel ihm eine entfernte Aehnlichkeit, er wußte noch selbst nicht recht mit wem, auf, die er schon bei seinem Eintritt in das Haus bemerkt hatte, und die seine ganze Seele für sie in Anspruch nahm. Er ergriff sie, als sie in den Geschäften, die sie betrieb, aufstand, bei der Hand, und da er gar richtig schloß, daß es nur Ein Mittel gab, zu erprüfen, ob das Mädchen ein Herz habe oder nicht, so zog er sie auf seinen Schoß nieder und fragte sie, ob sie schon einem Bräutigam verlobt wäre. Nein! lispelte das Mädchen, indem sie ihre großen schwarzen Augen in lieblicher Verschämtheit zur Erde schlug. Sie setzte, ohne sich auf seinem Schoß zu rühren, hinzu, Konelly, der junge Neger aus der Nachbarschaft, hätte zwar vor drei Monaten um sie angehalten; sie hätte ihn aber, weil sie noch zu jung wäre, ausgeschlagen. Der Fremde, der mit seinen beiden Händen ihren schlanken Leib umfaßt hielt, sagte, in seinem Vaterlande wäre nach einem daselbst herrschenden Sprichwort ein Mädchen von vierzehn Jahren und sieben Wochen bejahrt genug, um zu heirathen. Er fragte, während sie ein kleines goldenes

kehrungen zum Bade besorgte, betrachtete er ihre einnehmende Gestalt. Ihr Haar, in dunkeln Locken schwellend, war ihr, als sie niederkniete, auf ihre jungen Brüste herabgerollt; ein Zug von ausnehmender Anmuth spielte um ihre Lippen und um ihre langen, über die gesenkten Augen hervorragenden Augenwimpern; er hätte, bis auf die Farbe, die ihm anstößig war, schwören mögen, daß er nie etwas Schöneres gesehen. Dabei fiel ihm eine entfernte Aehnlichkeit, er wußte noch selbst nicht recht mit wem, auf, die er schon bei seinem Eintritt in das Haus bemerkt hatte, und die seine ganze Seele für sie in Anspruch nahm. Er ergriff sie, als sie in den Geschäften, die sie betrieb, aufstand, bei der Hand, und da er gar richtig schloß, daß es nur Ein Mittel gab, zu erprüfen, ob das Mädchen ein Herz habe oder nicht, so zog er sie auf seinen Schoß nieder und fragte sie, ob sie schon einem Bräutigam verlobt wäre. Nein! lispelte das Mädchen, indem sie ihre großen schwarzen Augen in lieblicher Verschämtheit zur Erde schlug. Sie setzte, ohne sich auf seinem Schoß zu rühren, hinzu, Konelly, der junge Neger aus der Nachbarschaft, hätte zwar vor drei Monaten um sie angehalten; sie hätte ihn aber, weil sie noch zu jung wäre, ausgeschlagen. Der Fremde, der mit seinen beiden Händen ihren schlanken Leib umfaßt hielt, sagte, in seinem Vaterlande wäre nach einem daselbst herrschenden Sprichwort ein Mädchen von vierzehn Jahren und sieben Wochen bejahrt genug, um zu heirathen. Er fragte, während sie ein kleines goldenes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0028"/>
kehrungen zum Bade besorgte,                betrachtete er ihre einnehmende Gestalt. Ihr Haar, in dunkeln Locken schwellend, war                ihr, als sie niederkniete, auf ihre jungen Brüste herabgerollt; ein Zug von                ausnehmender Anmuth spielte um ihre Lippen und um ihre langen, über die gesenkten                Augen hervorragenden Augenwimpern; er hätte, bis auf die Farbe, die ihm anstößig war,                schwören mögen, daß er nie etwas Schöneres gesehen. Dabei fiel ihm eine entfernte                Aehnlichkeit, er wußte noch selbst nicht recht mit wem, auf, die er schon bei seinem                Eintritt in das Haus bemerkt hatte, und die seine ganze Seele für sie in Anspruch                nahm. Er ergriff sie, als sie in den Geschäften, die sie betrieb, aufstand, bei der                Hand, und da er gar richtig schloß, daß es nur Ein Mittel gab, zu erprüfen, ob das                Mädchen ein Herz habe oder nicht, so zog er sie auf seinen Schoß nieder und fragte                sie, ob sie schon einem Bräutigam verlobt wäre. Nein! lispelte das Mädchen, indem sie                ihre großen schwarzen Augen in lieblicher Verschämtheit zur Erde schlug. Sie setzte,                ohne sich auf seinem Schoß zu rühren, hinzu, Konelly, der junge Neger aus der                Nachbarschaft, hätte zwar vor drei Monaten um sie angehalten; sie hätte ihn aber,                weil sie noch zu jung wäre, ausgeschlagen. Der Fremde, der mit seinen beiden Händen                ihren schlanken Leib umfaßt hielt, sagte, in seinem Vaterlande wäre nach einem                daselbst herrschenden Sprichwort ein Mädchen von vierzehn Jahren und sieben Wochen                bejahrt genug, um zu heirathen. Er fragte, während sie ein kleines goldenes<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0028] kehrungen zum Bade besorgte, betrachtete er ihre einnehmende Gestalt. Ihr Haar, in dunkeln Locken schwellend, war ihr, als sie niederkniete, auf ihre jungen Brüste herabgerollt; ein Zug von ausnehmender Anmuth spielte um ihre Lippen und um ihre langen, über die gesenkten Augen hervorragenden Augenwimpern; er hätte, bis auf die Farbe, die ihm anstößig war, schwören mögen, daß er nie etwas Schöneres gesehen. Dabei fiel ihm eine entfernte Aehnlichkeit, er wußte noch selbst nicht recht mit wem, auf, die er schon bei seinem Eintritt in das Haus bemerkt hatte, und die seine ganze Seele für sie in Anspruch nahm. Er ergriff sie, als sie in den Geschäften, die sie betrieb, aufstand, bei der Hand, und da er gar richtig schloß, daß es nur Ein Mittel gab, zu erprüfen, ob das Mädchen ein Herz habe oder nicht, so zog er sie auf seinen Schoß nieder und fragte sie, ob sie schon einem Bräutigam verlobt wäre. Nein! lispelte das Mädchen, indem sie ihre großen schwarzen Augen in lieblicher Verschämtheit zur Erde schlug. Sie setzte, ohne sich auf seinem Schoß zu rühren, hinzu, Konelly, der junge Neger aus der Nachbarschaft, hätte zwar vor drei Monaten um sie angehalten; sie hätte ihn aber, weil sie noch zu jung wäre, ausgeschlagen. Der Fremde, der mit seinen beiden Händen ihren schlanken Leib umfaßt hielt, sagte, in seinem Vaterlande wäre nach einem daselbst herrschenden Sprichwort ein Mädchen von vierzehn Jahren und sieben Wochen bejahrt genug, um zu heirathen. Er fragte, während sie ein kleines goldenes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:20:21Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:20:21Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910/28
Zitationshilfe: Kleist, Heinrich von: Die Verlobung von St. Domingo. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [45]–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleist_verlobung_1910/28>, abgerufen am 20.04.2024.