chen den zwei weißen Bräuten. -- Fort, fort, das ist Weltlauf. O wenn ich doch blasen und singen dürfte.
Jezt schwebt die Leiche hin durch die Gas- sen, und der Laternenschein still hinterdrein an den Wänden, wie wenn der vorüberwan- delnde Tod sich dem schlummernden Leben nicht verrathen wollte. Der gefrorene Boden knirscht unter den Fußtritten der Leichenträger -- das ist der heimliche tückische Brautgesang! -- Und sie bergen sie in ihr Kämmerlein.
Aber nahe dabei singen und brausen noch Jünglinge, und verschwenden das Leben, und die Liebe und die Poesie in einem kurzen ra- schen Rausche, der am Morgen verflogen ist -- wo ihre Thaten, ihre Träume, ihre Hoff- nungen, ihre Wünsche, und alles um sie her nüchtern geworden und erkaltet ist. --
Im Nonnenkloster der heiligen Ursula war noch spät in der Nacht ein unruhiges Treiben.
chen den zwei weißen Braͤuten. — Fort, fort, das iſt Weltlauf. O wenn ich doch blaſen und ſingen duͤrfte.
Jezt ſchwebt die Leiche hin durch die Gaſ- ſen, und der Laternenſchein ſtill hinterdrein an den Waͤnden, wie wenn der voruͤberwan- delnde Tod ſich dem ſchlummernden Leben nicht verrathen wollte. Der gefrorene Boden knirſcht unter den Fußtritten der Leichentraͤger — das iſt der heimliche tuͤckiſche Brautgeſang! — Und ſie bergen ſie in ihr Kaͤmmerlein.
Aber nahe dabei ſingen und brauſen noch Juͤnglinge, und verſchwenden das Leben, und die Liebe und die Poeſie in einem kurzen ra- ſchen Rauſche, der am Morgen verflogen iſt — wo ihre Thaten, ihre Traͤume, ihre Hoff- nungen, ihre Wuͤnſche, und alles um ſie her nuͤchtern geworden und erkaltet iſt. —
Im Nonnenkloſter der heiligen Urſula war noch ſpaͤt in der Nacht ein unruhiges Treiben.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0183"n="181"/>
chen den zwei weißen Braͤuten. — Fort, fort,<lb/>
das iſt Weltlauf. O wenn ich doch blaſen und<lb/>ſingen duͤrfte.</p><lb/><p>Jezt ſchwebt die Leiche hin durch die Gaſ-<lb/>ſen, und der Laternenſchein ſtill hinterdrein<lb/>
an den Waͤnden, wie wenn der voruͤberwan-<lb/>
delnde Tod ſich dem ſchlummernden Leben nicht<lb/>
verrathen wollte. Der gefrorene Boden knirſcht<lb/>
unter den Fußtritten der Leichentraͤger — das<lb/>
iſt der heimliche tuͤckiſche Brautgeſang! — Und<lb/>ſie bergen ſie in ihr Kaͤmmerlein.</p><lb/><p>Aber nahe dabei ſingen und brauſen noch<lb/>
Juͤnglinge, und verſchwenden das Leben, und<lb/>
die Liebe und die Poeſie in einem kurzen ra-<lb/>ſchen Rauſche, der am Morgen verflogen iſt<lb/>— wo ihre Thaten, ihre Traͤume, ihre Hoff-<lb/>
nungen, ihre Wuͤnſche, und alles um ſie her<lb/>
nuͤchtern geworden und erkaltet iſt. —</p><lb/><p>Im Nonnenkloſter der heiligen Urſula war<lb/>
noch ſpaͤt in der Nacht ein unruhiges Treiben.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[181/0183]
chen den zwei weißen Braͤuten. — Fort, fort,
das iſt Weltlauf. O wenn ich doch blaſen und
ſingen duͤrfte.
Jezt ſchwebt die Leiche hin durch die Gaſ-
ſen, und der Laternenſchein ſtill hinterdrein
an den Waͤnden, wie wenn der voruͤberwan-
delnde Tod ſich dem ſchlummernden Leben nicht
verrathen wollte. Der gefrorene Boden knirſcht
unter den Fußtritten der Leichentraͤger — das
iſt der heimliche tuͤckiſche Brautgeſang! — Und
ſie bergen ſie in ihr Kaͤmmerlein.
Aber nahe dabei ſingen und brauſen noch
Juͤnglinge, und verſchwenden das Leben, und
die Liebe und die Poeſie in einem kurzen ra-
ſchen Rauſche, der am Morgen verflogen iſt
— wo ihre Thaten, ihre Traͤume, ihre Hoff-
nungen, ihre Wuͤnſche, und alles um ſie her
nuͤchtern geworden und erkaltet iſt. —
Im Nonnenkloſter der heiligen Urſula war
noch ſpaͤt in der Nacht ein unruhiges Treiben.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/183>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.