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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

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förmlich toll vom Theater ablief. Es gab ge-
waltigen Lärm, und wie andere Direktoren sich
mit dem Einstudieren der Rollen zu beschäfti-
gen pflegen, so bemühete sich dagegen der an-
wesende seine Prima Donna mit aller Anstren-
gung aus der gespielten herauszustudieren; --
doch vergeblich, die mächtige Hand des Shake-
spear, dieses zweiten Schöpfers, hatte sie zu
heftig ergriffen, und lies sie zum Schrecken
aller Gegenwärtigen nicht wieder los. Für
mich war es ein interessantes Schauspiel, die-
ses gewaltige Eingreifen einer Riesenhand in
ein fremdes Leben, dieses Umschaffen der wirk-
lichen Person zu einer poetischen, die jetzt vor
den Augen aller Vernünftigen, auf Kothurnen
ernsthaft auf- und abging, und abgerissene
Gesänge, wie wunderbare Geistersprüche, hö-
ren ließ. So sehr man auch mit den bündig-
sten Gründen in sie drang zur Vernunft zu-
rückzukehren, so heftig protestirte sie dagegen,
und es blieb zuletzt kein anderes Mittel übrig,
als sie ins Tollhaus zu schicken.


foͤrmlich toll vom Theater ablief. Es gab ge-
waltigen Laͤrm, und wie andere Direktoren ſich
mit dem Einſtudieren der Rollen zu beſchaͤfti-
gen pflegen, ſo bemuͤhete ſich dagegen der an-
weſende ſeine Prima Donna mit aller Anſtren-
gung aus der geſpielten herauszuſtudieren; —
doch vergeblich, die maͤchtige Hand des Shake-
ſpear, dieſes zweiten Schoͤpfers, hatte ſie zu
heftig ergriffen, und lies ſie zum Schrecken
aller Gegenwaͤrtigen nicht wieder los. Fuͤr
mich war es ein intereſſantes Schauſpiel, die-
ſes gewaltige Eingreifen einer Rieſenhand in
ein fremdes Leben, dieſes Umſchaffen der wirk-
lichen Perſon zu einer poetiſchen, die jetzt vor
den Augen aller Vernuͤnftigen, auf Kothurnen
ernſthaft auf- und abging, und abgeriſſene
Geſaͤnge, wie wunderbare Geiſterſpruͤche, hoͤ-
ren ließ. So ſehr man auch mit den buͤndig-
ſten Gruͤnden in ſie drang zur Vernunft zu-
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[232/0234] foͤrmlich toll vom Theater ablief. Es gab ge- waltigen Laͤrm, und wie andere Direktoren ſich mit dem Einſtudieren der Rollen zu beſchaͤfti- gen pflegen, ſo bemuͤhete ſich dagegen der an- weſende ſeine Prima Donna mit aller Anſtren- gung aus der geſpielten herauszuſtudieren; — doch vergeblich, die maͤchtige Hand des Shake- ſpear, dieſes zweiten Schoͤpfers, hatte ſie zu heftig ergriffen, und lies ſie zum Schrecken aller Gegenwaͤrtigen nicht wieder los. Fuͤr mich war es ein intereſſantes Schauſpiel, die- ſes gewaltige Eingreifen einer Rieſenhand in ein fremdes Leben, dieſes Umſchaffen der wirk- lichen Perſon zu einer poetiſchen, die jetzt vor den Augen aller Vernuͤnftigen, auf Kothurnen ernſthaft auf- und abging, und abgeriſſene Geſaͤnge, wie wunderbare Geiſterſpruͤche, hoͤ- ren ließ. So ſehr man auch mit den buͤndig- ſten Gruͤnden in ſie drang zur Vernunft zu- ruͤckzukehren, ſo heftig proteſtirte ſie dagegen, und es blieb zuletzt kein anderes Mittel uͤbrig, als ſie ins Tollhaus zu ſchicken.

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Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/234>, abgerufen am 24.11.2024.