Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

Zu meinem nicht geringen Erstaunen traf
ich hier wieder mit ihr zusammen. Ihr Käm-
merchen stieß dicht an das meinige, und ich
hörte sie täglich den Holzschuh und Muschelhut
ihres Geliebten besingen. Ein Kerl wie ich,
der aus Haß und Grimm zusammengesetzt ist,
und nicht wie andere Menschenkinder seiner
Mutter Leibe, sondern vielmehr einem schwan-
gern Vulkane entbunden zu sein scheint, hat
für Liebe und dergleichen wenig Sinn; und
doch beschlich mich hier im Tollhause so etwas,
es äußerte sich zwar anfangs nicht in den ge-
wöhnlichen Symptomen, als Vorliebe für
Mondschein, poetischen Andrangs zum Kopfe
und dergleichen; sondern vielmehr in dem hef-
tigen Bestreben zur Errichtung einer Narren-
propaganda und einer ausgebreiteten Kolonie
von Verrückten, um sie zum Schrecken der an-
dern vernünftigen Menschen plözlich anlanden
zu lassen.

Dies tolle Gefühl indeß, das sie Liebe nen-
nen, und das wie ein Flicken von Himmel

Zu meinem nicht geringen Erſtaunen traf
ich hier wieder mit ihr zuſammen. Ihr Kaͤm-
merchen ſtieß dicht an das meinige, und ich
hoͤrte ſie taͤglich den Holzſchuh und Muſchelhut
ihres Geliebten beſingen. Ein Kerl wie ich,
der aus Haß und Grimm zuſammengeſetzt iſt,
und nicht wie andere Menſchenkinder ſeiner
Mutter Leibe, ſondern vielmehr einem ſchwan-
gern Vulkane entbunden zu ſein ſcheint, hat
fuͤr Liebe und dergleichen wenig Sinn; und
doch beſchlich mich hier im Tollhauſe ſo etwas,
es aͤußerte ſich zwar anfangs nicht in den ge-
woͤhnlichen Symptomen, als Vorliebe fuͤr
Mondſchein, poetiſchen Andrangs zum Kopfe
und dergleichen; ſondern vielmehr in dem hef-
tigen Beſtreben zur Errichtung einer Narren-
propaganda und einer ausgebreiteten Kolonie
von Verruͤckten, um ſie zum Schrecken der an-
dern vernuͤnftigen Menſchen ploͤzlich anlanden
zu laſſen.

Dies tolle Gefuͤhl indeß, das ſie Liebe nen-
nen, und das wie ein Flicken von Himmel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0235" n="233"/>
        <p>Zu meinem nicht geringen Er&#x017F;taunen traf<lb/>
ich hier wieder mit ihr zu&#x017F;ammen. Ihr Ka&#x0364;m-<lb/>
merchen &#x017F;tieß dicht an das meinige, und ich<lb/>
ho&#x0364;rte &#x017F;ie ta&#x0364;glich den Holz&#x017F;chuh und Mu&#x017F;chelhut<lb/>
ihres Geliebten be&#x017F;ingen. Ein Kerl wie ich,<lb/>
der aus Haß und Grimm zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt i&#x017F;t,<lb/>
und nicht wie andere Men&#x017F;chenkinder &#x017F;einer<lb/>
Mutter Leibe, &#x017F;ondern vielmehr einem &#x017F;chwan-<lb/>
gern Vulkane entbunden zu &#x017F;ein &#x017F;cheint, hat<lb/>
fu&#x0364;r Liebe und dergleichen wenig Sinn; und<lb/>
doch be&#x017F;chlich mich hier im Tollhau&#x017F;e &#x017F;o etwas,<lb/>
es a&#x0364;ußerte &#x017F;ich zwar anfangs nicht in den ge-<lb/>
wo&#x0364;hnlichen Symptomen, als Vorliebe fu&#x0364;r<lb/>
Mond&#x017F;chein, poeti&#x017F;chen Andrangs zum Kopfe<lb/>
und dergleichen; &#x017F;ondern vielmehr in dem hef-<lb/>
tigen Be&#x017F;treben zur Errichtung einer Narren-<lb/>
propaganda und einer ausgebreiteten Kolonie<lb/>
von Verru&#x0364;ckten, um &#x017F;ie zum Schrecken der an-<lb/>
dern vernu&#x0364;nftigen Men&#x017F;chen plo&#x0364;zlich anlanden<lb/>
zu la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Dies tolle Gefu&#x0364;hl indeß, das &#x017F;ie Liebe nen-<lb/>
nen, und das wie ein Flicken von Himmel<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[233/0235] Zu meinem nicht geringen Erſtaunen traf ich hier wieder mit ihr zuſammen. Ihr Kaͤm- merchen ſtieß dicht an das meinige, und ich hoͤrte ſie taͤglich den Holzſchuh und Muſchelhut ihres Geliebten beſingen. Ein Kerl wie ich, der aus Haß und Grimm zuſammengeſetzt iſt, und nicht wie andere Menſchenkinder ſeiner Mutter Leibe, ſondern vielmehr einem ſchwan- gern Vulkane entbunden zu ſein ſcheint, hat fuͤr Liebe und dergleichen wenig Sinn; und doch beſchlich mich hier im Tollhauſe ſo etwas, es aͤußerte ſich zwar anfangs nicht in den ge- woͤhnlichen Symptomen, als Vorliebe fuͤr Mondſchein, poetiſchen Andrangs zum Kopfe und dergleichen; ſondern vielmehr in dem hef- tigen Beſtreben zur Errichtung einer Narren- propaganda und einer ausgebreiteten Kolonie von Verruͤckten, um ſie zum Schrecken der an- dern vernuͤnftigen Menſchen ploͤzlich anlanden zu laſſen. Dies tolle Gefuͤhl indeß, das ſie Liebe nen- nen, und das wie ein Flicken von Himmel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/235
Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/235>, abgerufen am 24.11.2024.