Gähnen, wenn tausend Narren und Verliebte ihre Seufzer und Wünsche zu dir hinaufrich- ten, und dich zu ihrem Vertrauten erkiesen; so lange du auch schon um die Erde herumge- laufen bist, als ihr Begleiter und Cicisbeo, so hast du dich doch beständig als ein treuer Confident gehalten, und man findet kein einzi- ges Beispiel in der Weltgeschichte bis zu Adam hin, wo du unwillig geworden wärest, die Nase gerümpft, oder einige hämische Mienen angenommen hättest, ob du gleich diese Seuf- zer und Klagen schon tausend und abermaltau- send male wiederholen hörtest. Noch immer bist du gleich aufmerksam, ja man sieht dich so oft gerührt das Wischtüchlein einer Wolke vorhalten, um deine Thränen dahinter zu ver- bergen. Welchen bessern Zuhörer könnte sich ein seine Werke vorlesender Dichter wählen, als dich, welchen innigern Vertrauten ich, der ich hier im Tollhause mich liebend verzehre. Wie blaß du bist, Guter, wie theilnehmend, und zugleich wie aufmerksam auf alle, die noch
Gaͤhnen, wenn tauſend Narren und Verliebte ihre Seufzer und Wuͤnſche zu dir hinaufrich- ten, und dich zu ihrem Vertrauten erkieſen; ſo lange du auch ſchon um die Erde herumge- laufen biſt, als ihr Begleiter und Cicisbeo, ſo haſt du dich doch beſtaͤndig als ein treuer Confident gehalten, und man findet kein einzi- ges Beiſpiel in der Weltgeſchichte bis zu Adam hin, wo du unwillig geworden waͤreſt, die Naſe geruͤmpft, oder einige haͤmiſche Mienen angenommen haͤtteſt, ob du gleich dieſe Seuf- zer und Klagen ſchon tauſend und abermaltau- ſend male wiederholen hoͤrteſt. Noch immer biſt du gleich aufmerkſam, ja man ſieht dich ſo oft geruͤhrt das Wiſchtuͤchlein einer Wolke vorhalten, um deine Thraͤnen dahinter zu ver- bergen. Welchen beſſern Zuhoͤrer koͤnnte ſich ein ſeine Werke vorleſender Dichter waͤhlen, als dich, welchen innigern Vertrauten ich, der ich hier im Tollhauſe mich liebend verzehre. Wie blaß du biſt, Guter, wie theilnehmend, und zugleich wie aufmerkſam auf alle, die noch
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Gaͤhnen, wenn tauſend Narren und Verliebte
ihre Seufzer und Wuͤnſche zu dir hinaufrich-
ten, und dich zu ihrem Vertrauten erkieſen;
ſo lange du auch ſchon um die Erde herumge-
laufen biſt, als ihr Begleiter und Cicisbeo,
ſo haſt du dich doch beſtaͤndig als ein treuer
Confident gehalten, und man findet kein einzi-
ges Beiſpiel in der Weltgeſchichte bis zu Adam
hin, wo du unwillig geworden waͤreſt, die
Naſe geruͤmpft, oder einige haͤmiſche Mienen
angenommen haͤtteſt, ob du gleich dieſe Seuf-
zer und Klagen ſchon tauſend und abermaltau-
ſend male wiederholen hoͤrteſt. Noch immer
biſt du gleich aufmerkſam, ja man ſieht dich
ſo oft geruͤhrt das Wiſchtuͤchlein einer Wolke
vorhalten, um deine Thraͤnen dahinter zu ver-
bergen. Welchen beſſern Zuhoͤrer koͤnnte ſich
ein ſeine Werke vorleſender Dichter waͤhlen,
als dich, welchen innigern Vertrauten ich, der
ich hier im Tollhauſe mich liebend verzehre.
Wie blaß du biſt, Guter, wie theilnehmend,
und zugleich wie aufmerkſam auf alle, die noch
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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/237>, abgerufen am 24.11.2024.
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