in diesem Augenblicke außer mir stehen, und dich aufschauen! Deine gutmüthige Miene könnte man leicht für Einfalt halten, beson- ders heute, wo dein Antlitz zugenommen hat und recht rund und genährt anzuschauen ist; aber du magst zunehmen, wie du willst, ich lasse mich dadurch in deinem Antheile nicht täuschen, bleibst du doch immer der Alte, und nimmst auch wieder ab, und verzehrst dich -- ja verhüllst du nicht gar, wenn dich die Rührung überwältigt, dein Gesicht wie der weinende Agamemnon, daß man nichts von dir sieht, als den vor Gram kahlen Hinter- kopf! -- Leb wohl, Trauter, Guter!
An die Liebe.
Weib, was willst du von mir, daß du dich an mich hängst? Hast du mir auch schon ins Gesicht geschaut? -- Du mit deinem Lächeln und deinen holden liebäugelnden Mienen, und ich, mit all dem Grimme und Zorne im Me-
in dieſem Augenblicke außer mir ſtehen, und dich aufſchauen! Deine gutmuͤthige Miene koͤnnte man leicht fuͤr Einfalt halten, beſon- ders heute, wo dein Antlitz zugenommen hat und recht rund und genaͤhrt anzuſchauen iſt; aber du magſt zunehmen, wie du willſt, ich laſſe mich dadurch in deinem Antheile nicht taͤuſchen, bleibſt du doch immer der Alte, und nimmſt auch wieder ab, und verzehrſt dich — ja verhuͤllſt du nicht gar, wenn dich die Ruͤhrung uͤberwaͤltigt, dein Geſicht wie der weinende Agamemnon, daß man nichts von dir ſieht, als den vor Gram kahlen Hinter- kopf! — Leb wohl, Trauter, Guter!
An die Liebe.
Weib, was willſt du von mir, daß du dich an mich haͤngſt? Haſt du mir auch ſchon ins Geſicht geſchaut? — Du mit deinem Laͤcheln und deinen holden liebaͤugelnden Mienen, und ich, mit all dem Grimme und Zorne im Me-
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in dieſem Augenblicke außer mir ſtehen, und
dich aufſchauen! Deine gutmuͤthige Miene
koͤnnte man leicht fuͤr Einfalt halten, beſon-
ders heute, wo dein Antlitz zugenommen
hat und recht rund und genaͤhrt anzuſchauen
iſt; aber du magſt zunehmen, wie du willſt,
ich laſſe mich dadurch in deinem Antheile
nicht taͤuſchen, bleibſt du doch immer der Alte,
und nimmſt auch wieder ab, und verzehrſt
dich — ja verhuͤllſt du nicht gar, wenn dich
die Ruͤhrung uͤberwaͤltigt, dein Geſicht wie der
weinende Agamemnon, daß man nichts von
dir ſieht, als den vor Gram kahlen Hinter-
kopf! — Leb wohl, Trauter, Guter!
An die Liebe.
Weib, was willſt du von mir, daß du dich
an mich haͤngſt? Haſt du mir auch ſchon ins
Geſicht geſchaut? — Du mit deinem Laͤcheln
und deinen holden liebaͤugelnden Mienen, und
ich, mit all dem Grimme und Zorne im Me-
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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/238>, abgerufen am 24.11.2024.
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