"Ei, ei, mein Gott, was ist denn das?" stammelte der Ehemann.
"Daß die Stummen zu reden anfangen, meinen Sie? das fließt aus der Frivolität des Zeitalters. Man sollte nie den Teufel an die Wand malen. Unsere jungen Herren von Welt setzen sich aber darüber hinaus, und miß- brauchen dergleichen bei schwachen Seelen, um sich von der heroischen Seite zu zeigen. Da habe ich nun meinen Mann beim Worte ge- nommen, ob ich gleich eigentlich nicht hieher gehöre, sondern draußen auf dem Markte stehe im grauen Mantel als heiliger Crispinus von Stein."
"Du Gott, was soll man davon denken!" fuhr jener beängstet fort, "es ist gar nicht in der Ordnung, und ein unerhörter Fall!"
"Für den Rechtsgelehrten gewiß! dieser Crispinus war nemlich ein Schuster, legte sich
„Ei, ei, mein Gott, was iſt denn das?“ ſtammelte der Ehemann.
„Daß die Stummen zu reden anfangen, meinen Sie? das fließt aus der Frivolitaͤt des Zeitalters. Man ſollte nie den Teufel an die Wand malen. Unſere jungen Herren von Welt ſetzen ſich aber daruͤber hinaus, und miß- brauchen dergleichen bei ſchwachen Seelen, um ſich von der heroiſchen Seite zu zeigen. Da habe ich nun meinen Mann beim Worte ge- nommen, ob ich gleich eigentlich nicht hieher gehoͤre, ſondern draußen auf dem Markte ſtehe im grauen Mantel als heiliger Criſpinus von Stein.“
„Du Gott, was ſoll man davon denken!“ fuhr jener beaͤngſtet fort, „es iſt gar nicht in der Ordnung, und ein unerhoͤrter Fall!“
„Fuͤr den Rechtsgelehrten gewiß! dieſer Criſpinus war nemlich ein Schuſter, legte ſich
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0039"n="39"/><p>„Ei, ei, mein Gott, was iſt denn das?“<lb/>ſtammelte der Ehemann.</p><lb/><p>„Daß die Stummen zu reden anfangen,<lb/>
meinen Sie? das fließt aus der Frivolitaͤt des<lb/>
Zeitalters. Man ſollte nie den Teufel an die<lb/>
Wand malen. Unſere jungen Herren von<lb/>
Welt ſetzen ſich aber daruͤber hinaus, und miß-<lb/>
brauchen dergleichen bei ſchwachen Seelen, um<lb/>ſich von der heroiſchen Seite zu zeigen. Da<lb/>
habe ich nun meinen Mann beim Worte ge-<lb/>
nommen, ob ich gleich eigentlich nicht hieher<lb/>
gehoͤre, ſondern draußen auf dem Markte ſtehe<lb/>
im grauen Mantel als heiliger Criſpinus von<lb/>
Stein.“</p><lb/><p>„Du Gott, was ſoll man davon denken!“<lb/>
fuhr jener beaͤngſtet fort, „es iſt gar nicht in<lb/>
der Ordnung, und ein unerhoͤrter Fall!“</p><lb/><p>„Fuͤr den Rechtsgelehrten gewiß! dieſer<lb/>
Criſpinus war nemlich ein Schuſter, legte ſich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[39/0039]
„Ei, ei, mein Gott, was iſt denn das?“
ſtammelte der Ehemann.
„Daß die Stummen zu reden anfangen,
meinen Sie? das fließt aus der Frivolitaͤt des
Zeitalters. Man ſollte nie den Teufel an die
Wand malen. Unſere jungen Herren von
Welt ſetzen ſich aber daruͤber hinaus, und miß-
brauchen dergleichen bei ſchwachen Seelen, um
ſich von der heroiſchen Seite zu zeigen. Da
habe ich nun meinen Mann beim Worte ge-
nommen, ob ich gleich eigentlich nicht hieher
gehoͤre, ſondern draußen auf dem Markte ſtehe
im grauen Mantel als heiliger Criſpinus von
Stein.“
„Du Gott, was ſoll man davon denken!“
fuhr jener beaͤngſtet fort, „es iſt gar nicht in
der Ordnung, und ein unerhoͤrter Fall!“
„Fuͤr den Rechtsgelehrten gewiß! dieſer
Criſpinus war nemlich ein Schuſter, legte ſich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/39>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.