aber aus besonderer Frömmigkeit und einem wirklichen Ueberflusse von Tugend auf die Die- berei, und stahl das Leder, um den Armen Schuhe daraus zu machen. Was läßt sich da entscheiden, reden Sie selbst! Ich sehe keinen andern Ausweg, als ihn zuerst zu hängen, und nachher zu kanonisiren. Aus ähnlichen Grün- den müßte man z. B. gegen Ehebrecher verfah- ren, die bloß um den Hausfrieden aufrecht zu erhalten, gegen die Gesetze verstoßen; der animus ist hier offenbar ein löblicher, und darauf kommts doch hauptsächlich an. Wie manche Frau würde nicht ihren Mann zu Tode quälen, wenn nicht ein solcher Hausfreund sich einfände, und aus reiner Moralität zum Schurken würde. Hier stehe ich eigentlich an meinem Thema, und wir können nun in Gottes Namen die hochnothpeinliche Halsge- richtsordnung aufschlagen. -- Doch ich sehe daß die Inquisiten bereits beide in Ohnmacht liegen; da müssen wir im Prozesse eine Pause machen!"
aber aus beſonderer Froͤmmigkeit und einem wirklichen Ueberfluſſe von Tugend auf die Die- berei, und ſtahl das Leder, um den Armen Schuhe daraus zu machen. Was laͤßt ſich da entſcheiden, reden Sie ſelbſt! Ich ſehe keinen andern Ausweg, als ihn zuerſt zu haͤngen, und nachher zu kanoniſiren. Aus aͤhnlichen Gruͤn- den muͤßte man z. B. gegen Ehebrecher verfah- ren, die bloß um den Hausfrieden aufrecht zu erhalten, gegen die Geſetze verſtoßen; der animus iſt hier offenbar ein loͤblicher, und darauf kommts doch hauptſaͤchlich an. Wie manche Frau wuͤrde nicht ihren Mann zu Tode quaͤlen, wenn nicht ein ſolcher Hausfreund ſich einfaͤnde, und aus reiner Moralitaͤt zum Schurken wuͤrde. Hier ſtehe ich eigentlich an meinem Thema, und wir koͤnnen nun in Gottes Namen die hochnothpeinliche Halsge- richtsordnung aufſchlagen. — Doch ich ſehe daß die Inquiſiten bereits beide in Ohnmacht liegen; da muͤſſen wir im Prozeſſe eine Pauſe machen!“
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aber aus beſonderer Froͤmmigkeit und einem
wirklichen Ueberfluſſe von Tugend auf die Die-
berei, und ſtahl das Leder, um den Armen
Schuhe daraus zu machen. Was laͤßt ſich da
entſcheiden, reden Sie ſelbſt! Ich ſehe keinen
andern Ausweg, als ihn zuerſt zu haͤngen, und
nachher zu kanoniſiren. Aus aͤhnlichen Gruͤn-
den muͤßte man z. B. gegen Ehebrecher verfah-
ren, die bloß um den Hausfrieden aufrecht zu
erhalten, gegen die Geſetze verſtoßen; der
animus iſt hier offenbar ein loͤblicher, und
darauf kommts doch hauptſaͤchlich an. Wie
manche Frau wuͤrde nicht ihren Mann zu Tode
quaͤlen, wenn nicht ein ſolcher Hausfreund ſich
einfaͤnde, und aus reiner Moralitaͤt zum
Schurken wuͤrde. Hier ſtehe ich eigentlich an
meinem Thema, und wir koͤnnen nun in
Gottes Namen die hochnothpeinliche Halsge-
richtsordnung aufſchlagen. — Doch ich ſehe
daß die Inquiſiten bereits beide in Ohnmacht
liegen; da muͤſſen wir im Prozeſſe eine Pauſe
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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/40>, abgerufen am 21.11.2024.
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