Blumen oft eine Schrift, die wir nur nicht zu lesen verständen, desgleichen auch die bun- ten Gesteine. Er hoft diese Sprache noch einst zu lernen, und verspricht dann gar wundersame Dinge daraus mitzutheilen. Oft behorcht er ganz heimlich die Mücken oder Fliegen wenn sie im Sonnenschein summen, weil er glaubt sie unterredeten sich über wichtige Gegenstände, von denen bis jezt noch kein Mensch etwas ahnete: Schwazt er den Gesellen und Lehr- burschen in der Werkstatt dergleichen vor und sie lachen über ihn, so erklärt er sie sehr ernst- haft für Blinde und Taube, die weder sähen noch hörten, was um sie her vorginge. Jezt sizt er Tag und Nacht bei'm Jakob Böhme und Hans Sachs, welches zween gar abson- derliche Schuhmacher waren, aus denen auch zu ihrer Zeit niemand klug werden konnte. --
Soviel ist mir sonnenklar; ein gewöhn- liches Menschenkind ist dieser Kreuzgang nicht, bin ich doch auch auf keine gewöhnliche Weise zu ihm gekommen.
Blumen oft eine Schrift, die wir nur nicht zu leſen verſtaͤnden, desgleichen auch die bun- ten Geſteine. Er hoft dieſe Sprache noch einſt zu lernen, und verſpricht dann gar wunderſame Dinge daraus mitzutheilen. Oft behorcht er ganz heimlich die Muͤcken oder Fliegen wenn ſie im Sonnenſchein ſummen, weil er glaubt ſie unterredeten ſich uͤber wichtige Gegenſtaͤnde, von denen bis jezt noch kein Menſch etwas ahnete: Schwazt er den Geſellen und Lehr- burſchen in der Werkſtatt dergleichen vor und ſie lachen uͤber ihn, ſo erklaͤrt er ſie ſehr ernſt- haft fuͤr Blinde und Taube, die weder ſaͤhen noch hoͤrten, was um ſie her vorginge. Jezt ſizt er Tag und Nacht bei’m Jakob Boͤhme und Hans Sachs, welches zween gar abſon- derliche Schuhmacher waren, aus denen auch zu ihrer Zeit niemand klug werden konnte. —
Soviel iſt mir ſonnenklar; ein gewoͤhn- liches Menſchenkind iſt dieſer Kreuzgang nicht, bin ich doch auch auf keine gewoͤhnliche Weiſe zu ihm gekommen.
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Blumen oft eine Schrift, die wir nur nicht
zu leſen verſtaͤnden, desgleichen auch die bun-
ten Geſteine. Er hoft dieſe Sprache noch einſt
zu lernen, und verſpricht dann gar wunderſame
Dinge daraus mitzutheilen. Oft behorcht er
ganz heimlich die Muͤcken oder Fliegen wenn
ſie im Sonnenſchein ſummen, weil er glaubt
ſie unterredeten ſich uͤber wichtige Gegenſtaͤnde,
von denen bis jezt noch kein Menſch etwas
ahnete: Schwazt er den Geſellen und Lehr-
burſchen in der Werkſtatt dergleichen vor und
ſie lachen uͤber ihn, ſo erklaͤrt er ſie ſehr ernſt-
haft fuͤr Blinde und Taube, die weder ſaͤhen
noch hoͤrten, was um ſie her vorginge. Jezt
ſizt er Tag und Nacht bei’m Jakob Boͤhme
und Hans Sachs, welches zween gar abſon-
derliche Schuhmacher waren, aus denen auch
zu ihrer Zeit niemand klug werden konnte. —
Soviel iſt mir ſonnenklar; ein gewoͤhn-
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bin ich doch auch auf keine gewoͤhnliche Weiſe
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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/52>, abgerufen am 24.11.2024.
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