Kolombine ist die prima donna der Gesellschaft, und ohne Schmeichelei das Meisterstück des Formenschneiders. Wahrhaft griechische Kon- ture, und alles an ihr ins Ideale hinüber- gearbeitet. Der eine Bruder kommt, derje- nige, der vorher in Prosa sprach; er erblickt sie, schlägt sich auf die Stelle des Herzens, redet darauf plözlich in Versen, reimt alle Endsylben, oder bringt die Assonanz in A und O an, daß die Kolombine darüber erschrickt, und mit dem Pagen davon läuft. Jener will ihr nachstürzen, rennt aber, weil der Mario- nettendirektor hier ein Versehen macht, sehr hart gegen den Hanswurst, der nun, aus dem Stegreife, eine sehr boshafte satirische Rede hält, worin er ihm darthut, daß es seinem Schöpfer -- dem Marionettendirektor nemlich -- nicht gefalle, ihm die Dame zu bestimmen, und daß dadurch eben das Stück recht toll und komisch werden würde, indem ein melancholi- scher Narr die possirlichste Person in einem Possenspiele abgäbe. -- Die andere Puppe
5
Kolombine iſt die prima donna der Geſellſchaft, und ohne Schmeichelei das Meiſterſtuͤck des Formenſchneiders. Wahrhaft griechiſche Kon- ture, und alles an ihr ins Ideale hinuͤber- gearbeitet. Der eine Bruder kommt, derje- nige, der vorher in Proſa ſprach; er erblickt ſie, ſchlaͤgt ſich auf die Stelle des Herzens, redet darauf ploͤzlich in Verſen, reimt alle Endſylben, oder bringt die Aſſonanz in A und O an, daß die Kolombine daruͤber erſchrickt, und mit dem Pagen davon laͤuft. Jener will ihr nachſtuͤrzen, rennt aber, weil der Mario- nettendirektor hier ein Verſehen macht, ſehr hart gegen den Hanswurſt, der nun, aus dem Stegreife, eine ſehr boshafte ſatiriſche Rede haͤlt, worin er ihm darthut, daß es ſeinem Schoͤpfer — dem Marionettendirektor nemlich — nicht gefalle, ihm die Dame zu beſtimmen, und daß dadurch eben das Stuͤck recht toll und komiſch werden wuͤrde, indem ein melancholi- ſcher Narr die poſſirlichſte Perſon in einem Poſſenſpiele abgaͤbe. — Die andere Puppe
5
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0067"n="65"/>
Kolombine iſt die <hirendition="#aq">prima donna</hi> der Geſellſchaft,<lb/>
und ohne Schmeichelei das Meiſterſtuͤck des<lb/>
Formenſchneiders. Wahrhaft griechiſche Kon-<lb/>
ture, und alles an ihr ins Ideale hinuͤber-<lb/>
gearbeitet. Der eine Bruder kommt, derje-<lb/>
nige, der vorher in Proſa ſprach; er erblickt<lb/>ſie, ſchlaͤgt ſich auf die Stelle des Herzens,<lb/>
redet darauf ploͤzlich in Verſen, reimt alle<lb/>
Endſylben, oder bringt die Aſſonanz in A und<lb/>
O an, daß die Kolombine daruͤber erſchrickt,<lb/>
und mit dem Pagen davon laͤuft. Jener will<lb/>
ihr nachſtuͤrzen, rennt aber, weil der Mario-<lb/>
nettendirektor hier ein Verſehen macht, ſehr<lb/>
hart <choice><sic>gegegen</sic><corr>gegen</corr></choice> den Hanswurſt, der nun, aus dem<lb/>
Stegreife, eine ſehr boshafte ſatiriſche Rede<lb/>
haͤlt, worin er ihm darthut, daß es ſeinem<lb/>
Schoͤpfer — dem Marionettendirektor nemlich<lb/>— nicht gefalle, ihm die Dame zu beſtimmen,<lb/>
und daß dadurch eben das Stuͤck recht toll und<lb/>
komiſch werden wuͤrde, indem ein melancholi-<lb/>ſcher Narr die poſſirlichſte Perſon in einem<lb/>
Poſſenſpiele abgaͤbe. — Die andere Puppe<lb/><fwplace="bottom"type="sig"rendition="#right">5</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[65/0067]
Kolombine iſt die prima donna der Geſellſchaft,
und ohne Schmeichelei das Meiſterſtuͤck des
Formenſchneiders. Wahrhaft griechiſche Kon-
ture, und alles an ihr ins Ideale hinuͤber-
gearbeitet. Der eine Bruder kommt, derje-
nige, der vorher in Proſa ſprach; er erblickt
ſie, ſchlaͤgt ſich auf die Stelle des Herzens,
redet darauf ploͤzlich in Verſen, reimt alle
Endſylben, oder bringt die Aſſonanz in A und
O an, daß die Kolombine daruͤber erſchrickt,
und mit dem Pagen davon laͤuft. Jener will
ihr nachſtuͤrzen, rennt aber, weil der Mario-
nettendirektor hier ein Verſehen macht, ſehr
hart gegen den Hanswurſt, der nun, aus dem
Stegreife, eine ſehr boshafte ſatiriſche Rede
haͤlt, worin er ihm darthut, daß es ſeinem
Schoͤpfer — dem Marionettendirektor nemlich
— nicht gefalle, ihm die Dame zu beſtimmen,
und daß dadurch eben das Stuͤck recht toll und
komiſch werden wuͤrde, indem ein melancholi-
ſcher Narr die poſſirlichſte Perſon in einem
Poſſenſpiele abgaͤbe. — Die andere Puppe
5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/67>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.