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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

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wie andere gelehrte Knaben und vielverspre-
chende Jünglinge es sich angelegen sein lassen
immer gescheuter und vernünftiger zu werden,
habe ich im Gegentheile stets eine besondere
Vorliebe für die Tollheit gehabt, und es zu
einer absoluten Verworrenheit in mir zu brin-
gen gesucht, eben um, wie unser Herrgott,
erst ein gutes und vollständiges Chaos zu vol-
lenden, aus welchem sich nachher gelegentlich,
wenn es mir einfiele, eine leidliche Welt zu-
sammen ordnen ließe. -- Ja es kommt mir zu
Zeiten in überspannten Augenblicken wohl gar
vor, als ob das Menschengeschlecht das Chaos
selbst verpfuscht habe, und mit dem Ordnen
zu voreilig gewesen sei, weshalb denn auch
nichts an seinen gehörigen Platz zu stehen kom-
men könne, und der Schöpfer bald möglichst
dazu thun müsse die Welt, wie ein verunglück-
tes System auszustreichen und zu vernich-
ten. --

Ach, diese fixe Idee ist mir übel genug
bekommen, und hätte mich selbst beinahe ein-

wie andere gelehrte Knaben und vielverſpre-
chende Juͤnglinge es ſich angelegen ſein laſſen
immer geſcheuter und vernuͤnftiger zu werden,
habe ich im Gegentheile ſtets eine beſondere
Vorliebe fuͤr die Tollheit gehabt, und es zu
einer abſoluten Verworrenheit in mir zu brin-
gen geſucht, eben um, wie unſer Herrgott,
erſt ein gutes und vollſtaͤndiges Chaos zu vol-
lenden, aus welchem ſich nachher gelegentlich,
wenn es mir einfiele, eine leidliche Welt zu-
ſammen ordnen ließe. — Ja es kommt mir zu
Zeiten in uͤberſpannten Augenblicken wohl gar
vor, als ob das Menſchengeſchlecht das Chaos
ſelbſt verpfuſcht habe, und mit dem Ordnen
zu voreilig geweſen ſei, weshalb denn auch
nichts an ſeinen gehoͤrigen Platz zu ſtehen kom-
men koͤnne, und der Schoͤpfer bald moͤglichſt
dazu thun muͤſſe die Welt, wie ein verungluͤck-
tes Syſtem auszuſtreichen und zu vernich-
ten. —

Ach, dieſe fixe Idee iſt mir uͤbel genug
bekommen, und haͤtte mich ſelbſt beinahe ein-

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[94/0096] wie andere gelehrte Knaben und vielverſpre- chende Juͤnglinge es ſich angelegen ſein laſſen immer geſcheuter und vernuͤnftiger zu werden, habe ich im Gegentheile ſtets eine beſondere Vorliebe fuͤr die Tollheit gehabt, und es zu einer abſoluten Verworrenheit in mir zu brin- gen geſucht, eben um, wie unſer Herrgott, erſt ein gutes und vollſtaͤndiges Chaos zu vol- lenden, aus welchem ſich nachher gelegentlich, wenn es mir einfiele, eine leidliche Welt zu- ſammen ordnen ließe. — Ja es kommt mir zu Zeiten in uͤberſpannten Augenblicken wohl gar vor, als ob das Menſchengeſchlecht das Chaos ſelbſt verpfuſcht habe, und mit dem Ordnen zu voreilig geweſen ſei, weshalb denn auch nichts an ſeinen gehoͤrigen Platz zu ſtehen kom- men koͤnne, und der Schoͤpfer bald moͤglichſt dazu thun muͤſſe die Welt, wie ein verungluͤck- tes Syſtem auszuſtreichen und zu vernich- ten. — Ach, dieſe fixe Idee iſt mir uͤbel genug bekommen, und haͤtte mich ſelbſt beinahe ein-

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Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/96>, abgerufen am 24.11.2024.