Der Teufel und Faust ritten unter Ge- sprächen an der Fulda hin, als sie unter einem Eichbaum, nahe bey einem Dorfe, ein Bauerweib mit ihren Kindern sitzen sa- hen, die leblose Bilder des Schmerzes und der stumpfen Verzweiflung zu seyn schienen. Faust, den die Thränen eben so gut wie die Freude anzogen, nahte sich hastig, und fragte die Elenden um die Ursach ihrer Noth. Das Weib sah ihn lange starr an. Nur nach und nach thaute sein freundlicher Blick ihr Herz so weit auf, daß sie ihm un- ter Thränen und Schluchzen folgendes mit- theilen konnte:
"In der ganzen Welt ist niemand unglück- "licher als ich und diese arme Kinder. "Mein Mann war dem Fürst Bischof seit "drey Jahren die Gebühren schuldig. Das "erste Jahr konnte er sie wegen Mißwachs "nicht bezahlen; das zweyte fraßen die wil- "den Schweine des Bischofs die Saat auf, "und das dritte gieng seine Jagd über unsre "Felder, und verwüstete die Erndte. Da
der
Der Teufel und Fauſt ritten unter Ge- ſpraͤchen an der Fulda hin, als ſie unter einem Eichbaum, nahe bey einem Dorfe, ein Bauerweib mit ihren Kindern ſitzen ſa- hen, die lebloſe Bilder des Schmerzes und der ſtumpfen Verzweiflung zu ſeyn ſchienen. Fauſt, den die Thraͤnen eben ſo gut wie die Freude anzogen, nahte ſich haſtig, und fragte die Elenden um die Urſach ihrer Noth. Das Weib ſah ihn lange ſtarr an. Nur nach und nach thaute ſein freundlicher Blick ihr Herz ſo weit auf, daß ſie ihm un- ter Thraͤnen und Schluchzen folgendes mit- theilen konnte:
„In der ganzen Welt iſt niemand ungluͤck- „licher als ich und dieſe arme Kinder. „Mein Mann war dem Fuͤrſt Biſchof ſeit „drey Jahren die Gebuͤhren ſchuldig. Das „erſte Jahr konnte er ſie wegen Mißwachs „nicht bezahlen; das zweyte fraßen die wil- „den Schweine des Biſchofs die Saat auf, „und das dritte gieng ſeine Jagd uͤber unſre „Felder, und verwuͤſtete die Erndte. Da
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Der Teufel und Fauſt ritten unter Ge-
ſpraͤchen an der Fulda hin, als ſie unter
einem Eichbaum, nahe bey einem Dorfe,
ein Bauerweib mit ihren Kindern ſitzen ſa-
hen, die lebloſe Bilder des Schmerzes und
der ſtumpfen Verzweiflung zu ſeyn ſchienen.
Fauſt, den die Thraͤnen eben ſo gut wie die
Freude anzogen, nahte ſich haſtig, und
fragte die Elenden um die Urſach ihrer
Noth. Das Weib ſah ihn lange ſtarr an.
Nur nach und nach thaute ſein freundlicher
Blick ihr Herz ſo weit auf, daß ſie ihm un-
ter Thraͤnen und Schluchzen folgendes mit-
theilen konnte:
„In der ganzen Welt iſt niemand ungluͤck-
„licher als ich und dieſe arme Kinder.
„Mein Mann war dem Fuͤrſt Biſchof ſeit
„drey Jahren die Gebuͤhren ſchuldig. Das
„erſte Jahr konnte er ſie wegen Mißwachs
„nicht bezahlen; das zweyte fraßen die wil-
„den Schweine des Biſchofs die Saat auf,
„und das dritte gieng ſeine Jagd uͤber unſre
„Felder, und verwuͤſtete die Erndte. Da
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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/165>, abgerufen am 24.11.2024.
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