Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

rer Handschrift bat, um, wie er sie versi-
cherte: "die Trägheit oder Fertigkeit ihrer
"hervorbringenden Kraft, die Gradheit,
"Standhaftigkeit, Reinheit oder Schief-
"heit ihres Charakters daraus zu entziffern."
Er sezte hinzu: "Es habe ihm bisher kein
"Fremder diese Gefälligkeit abgeschlagen,
"und er hofte von ihnen ein Gleiches."

Hierauf zog er ein Taschenbuch, Feder
und Dinte hervor, und spitzte die Ohren
voller Erwartung.

Faust. Nicht so rasch, guter Freund,
Dienst um Dienst: sagt mir vorerst, wer
ist die Jungfrau in jenem Hause, die ich
eben am Fenster sah, und deren Aeußeres so
englisch schön ist?

Späher. O sie ist ein Engel in allem
Verstand. Unser großer Seher versichert
von ihr, ihre Augen seyen Spiegel der Rein-
heit und Keuschheit. Ihr holder Mund
sey nur geschaffen, die hohe Begeistrung ei-
nes von himmlischen Dingen erfüllten Her-
zens, auszudrücken. Ihre Stirne sey ein

gän-

rer Handſchrift bat, um, wie er ſie verſi-
cherte: „die Traͤgheit oder Fertigkeit ihrer
„hervorbringenden Kraft, die Gradheit,
„Standhaftigkeit, Reinheit oder Schief-
„heit ihres Charakters daraus zu entziffern.“
Er ſezte hinzu: „Es habe ihm bisher kein
„Fremder dieſe Gefaͤlligkeit abgeſchlagen,
„und er hofte von ihnen ein Gleiches.“

Hierauf zog er ein Taſchenbuch, Feder
und Dinte hervor, und ſpitzte die Ohren
voller Erwartung.

Fauſt. Nicht ſo raſch, guter Freund,
Dienſt um Dienſt: ſagt mir vorerſt, wer
iſt die Jungfrau in jenem Hauſe, die ich
eben am Fenſter ſah, und deren Aeußeres ſo
engliſch ſchoͤn iſt?

Spaͤher. O ſie iſt ein Engel in allem
Verſtand. Unſer großer Seher verſichert
von ihr, ihre Augen ſeyen Spiegel der Rein-
heit und Keuſchheit. Ihr holder Mund
ſey nur geſchaffen, die hohe Begeiſtrung ei-
nes von himmliſchen Dingen erfuͤllten Her-
zens, auszudruͤcken. Ihre Stirne ſey ein

gaͤn-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0232" n="221"/>
rer Hand&#x017F;chrift bat, um, wie er &#x017F;ie ver&#x017F;i-<lb/>
cherte: &#x201E;die Tra&#x0364;gheit oder Fertigkeit ihrer<lb/>
&#x201E;hervorbringenden Kraft, die Gradheit,<lb/>
&#x201E;Standhaftigkeit, Reinheit oder Schief-<lb/>
&#x201E;heit ihres Charakters daraus zu entziffern.&#x201C;<lb/>
Er &#x017F;ezte hinzu: &#x201E;Es habe ihm bisher kein<lb/>
&#x201E;Fremder die&#x017F;e Gefa&#x0364;lligkeit abge&#x017F;chlagen,<lb/>
&#x201E;und er hofte von ihnen ein Gleiches.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Hierauf zog er ein Ta&#x017F;chenbuch, Feder<lb/>
und Dinte hervor, und &#x017F;pitzte die Ohren<lb/>
voller Erwartung.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Fau&#x017F;t</hi>. Nicht &#x017F;o ra&#x017F;ch, guter Freund,<lb/>
Dien&#x017F;t um Dien&#x017F;t: &#x017F;agt mir vorer&#x017F;t, wer<lb/>
i&#x017F;t die Jungfrau in jenem Hau&#x017F;e, die ich<lb/>
eben am Fen&#x017F;ter &#x017F;ah, und deren Aeußeres &#x017F;o<lb/>
engli&#x017F;ch &#x017F;cho&#x0364;n i&#x017F;t?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Spa&#x0364;her</hi>. O &#x017F;ie i&#x017F;t ein Engel in allem<lb/>
Ver&#x017F;tand. Un&#x017F;er großer Seher ver&#x017F;ichert<lb/>
von ihr, ihre Augen &#x017F;eyen Spiegel der Rein-<lb/>
heit und Keu&#x017F;chheit. Ihr holder Mund<lb/>
&#x017F;ey nur ge&#x017F;chaffen, die hohe Begei&#x017F;trung ei-<lb/>
nes von himmli&#x017F;chen Dingen erfu&#x0364;llten Her-<lb/>
zens, auszudru&#x0364;cken. Ihre Stirne &#x017F;ey ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ga&#x0364;n-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221/0232] rer Handſchrift bat, um, wie er ſie verſi- cherte: „die Traͤgheit oder Fertigkeit ihrer „hervorbringenden Kraft, die Gradheit, „Standhaftigkeit, Reinheit oder Schief- „heit ihres Charakters daraus zu entziffern.“ Er ſezte hinzu: „Es habe ihm bisher kein „Fremder dieſe Gefaͤlligkeit abgeſchlagen, „und er hofte von ihnen ein Gleiches.“ Hierauf zog er ein Taſchenbuch, Feder und Dinte hervor, und ſpitzte die Ohren voller Erwartung. Fauſt. Nicht ſo raſch, guter Freund, Dienſt um Dienſt: ſagt mir vorerſt, wer iſt die Jungfrau in jenem Hauſe, die ich eben am Fenſter ſah, und deren Aeußeres ſo engliſch ſchoͤn iſt? Spaͤher. O ſie iſt ein Engel in allem Verſtand. Unſer großer Seher verſichert von ihr, ihre Augen ſeyen Spiegel der Rein- heit und Keuſchheit. Ihr holder Mund ſey nur geſchaffen, die hohe Begeiſtrung ei- nes von himmliſchen Dingen erfuͤllten Her- zens, auszudruͤcken. Ihre Stirne ſey ein gaͤn-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/232
Zitationshilfe: Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/232>, abgerufen am 21.11.2024.