Nun deckte sie mit beiden Händen ihre Au- gen, floh nach ihrem Schlafzimmer, und sank Fausten in die Arme. Der Verwegne nuzte den Augenblick der gänzlichen Abwe- senheit ihres Bewußtseyns, fand in ihrem Sträuben, ihren Thränen, ihrem Seufzen, neuen Reiz zur Sünde, und nie ist eine un- schuldigere Seele, nie ein schönrer, unbe- fleckterer Körper, von der frechen Hand der Verführung besudelt worden. Als sie ih- ren Fall wahrnahm, verhüllte sie ihr Haupt, stieß den Frechen zurück. Er legte kostbare Geschmeide zu ihren Füßen, sie zertrat sie, und rief: "Wehe dir, die Hand des Rä- "chers wird einst schwer auf dir liegen für "diese Stunde!"
Der Wahnsinnige freute sich seines Siegs, gieng ohne Reue zu dem Teufel, der die Scene belachte, und sich der schaudervollen Folgen der That freute.
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Nun deckte ſie mit beiden Haͤnden ihre Au- gen, floh nach ihrem Schlafzimmer, und ſank Fauſten in die Arme. Der Verwegne nuzte den Augenblick der gaͤnzlichen Abwe- ſenheit ihres Bewußtſeyns, fand in ihrem Straͤuben, ihren Thraͤnen, ihrem Seufzen, neuen Reiz zur Suͤnde, und nie iſt eine un- ſchuldigere Seele, nie ein ſchoͤnrer, unbe- fleckterer Koͤrper, von der frechen Hand der Verfuͤhrung beſudelt worden. Als ſie ih- ren Fall wahrnahm, verhuͤllte ſie ihr Haupt, ſtieß den Frechen zuruͤck. Er legte koſtbare Geſchmeide zu ihren Fuͤßen, ſie zertrat ſie, und rief: „Wehe dir, die Hand des Raͤ- „chers wird einſt ſchwer auf dir liegen fuͤr „dieſe Stunde!“
Der Wahnſinnige freute ſich ſeines Siegs, gieng ohne Reue zu dem Teufel, der die Scene belachte, und ſich der ſchaudervollen Folgen der That freute.
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Nun deckte ſie mit beiden Haͤnden ihre Au-
gen, floh nach ihrem Schlafzimmer, und
ſank Fauſten in die Arme. Der Verwegne
nuzte den Augenblick der gaͤnzlichen Abwe-
ſenheit ihres Bewußtſeyns, fand in ihrem
Straͤuben, ihren Thraͤnen, ihrem Seufzen,
neuen Reiz zur Suͤnde, und nie iſt eine un-
ſchuldigere Seele, nie ein ſchoͤnrer, unbe-
fleckterer Koͤrper, von der frechen Hand der
Verfuͤhrung beſudelt worden. Als ſie ih-
ren Fall wahrnahm, verhuͤllte ſie ihr Haupt,
ſtieß den Frechen zuruͤck. Er legte koſtbare
Geſchmeide zu ihren Fuͤßen, ſie zertrat ſie,
und rief: „Wehe dir, die Hand des Raͤ-
„chers wird einſt ſchwer auf dir liegen fuͤr
„dieſe Stunde!“
Der Wahnſinnige freute ſich ſeines Siegs,
gieng ohne Reue zu dem Teufel, der die
Scene belachte, und ſich der ſchaudervollen
Folgen der That freute.
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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/238>, abgerufen am 21.11.2024.
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