Senatoren, vom stolzen Patrizier, bis zu dem noch stolzern Rathsherrn der Schuh- macherzunft. Man versprach ihm überall Huld, Schutz und Gnade. Zulezt hielt er sich vorzüglich an den regierenden Bürger- meister, wobey er aber bisher weiter nichts gewann, als daß die Frau Bürgermeisterin eine gewaltige Flamme in seinem leichtfan- genden Busen anzündete. Eines Abends versicherte ihn der Bürgermeister, daß man ersten Tags einen Rathsschluß fassen würde, vermöge welchem die gesammte Judenschaft gehalten seyn sollte, Mann für Mann, die Summe für die Bibel herzuschießen. Da Faust bemerkt hatte, daß seine Kinder Hun- gers sterben könnten, bevor eine so aufge- klärte Versammlung einstimmig würde, so gieng er ohne Hoffnung, voller Liebe und Grimm, auf seine einsame Stube. In die- sem Mißmuth nahm er seine Zauberformeln vor. Der Gedanke etwas kühnes zu wa- gen, und Unabhängigkeit von den Menschen, durch die Verbindung mit dem Teufel zu su-
chen,
Senatoren, vom ſtolzen Patrizier, bis zu dem noch ſtolzern Rathsherrn der Schuh- macherzunft. Man verſprach ihm uͤberall Huld, Schutz und Gnade. Zulezt hielt er ſich vorzuͤglich an den regierenden Buͤrger- meiſter, wobey er aber bisher weiter nichts gewann, als daß die Frau Buͤrgermeiſterin eine gewaltige Flamme in ſeinem leichtfan- genden Buſen anzuͤndete. Eines Abends verſicherte ihn der Buͤrgermeiſter, daß man erſten Tags einen Rathsſchluß faſſen wuͤrde, vermoͤge welchem die geſammte Judenſchaft gehalten ſeyn ſollte, Mann fuͤr Mann, die Summe fuͤr die Bibel herzuſchießen. Da Fauſt bemerkt hatte, daß ſeine Kinder Hun- gers ſterben koͤnnten, bevor eine ſo aufge- klaͤrte Verſammlung einſtimmig wuͤrde, ſo gieng er ohne Hoffnung, voller Liebe und Grimm, auf ſeine einſame Stube. In die- ſem Mißmuth nahm er ſeine Zauberformeln vor. Der Gedanke etwas kuͤhnes zu wa- gen, und Unabhaͤngigkeit von den Menſchen, durch die Verbindung mit dem Teufel zu ſu-
chen,
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[16/0027]
Senatoren, vom ſtolzen Patrizier, bis zu
dem noch ſtolzern Rathsherrn der Schuh-
macherzunft. Man verſprach ihm uͤberall
Huld, Schutz und Gnade. Zulezt hielt er
ſich vorzuͤglich an den regierenden Buͤrger-
meiſter, wobey er aber bisher weiter nichts
gewann, als daß die Frau Buͤrgermeiſterin
eine gewaltige Flamme in ſeinem leichtfan-
genden Buſen anzuͤndete. Eines Abends
verſicherte ihn der Buͤrgermeiſter, daß man
erſten Tags einen Rathsſchluß faſſen wuͤrde,
vermoͤge welchem die geſammte Judenſchaft
gehalten ſeyn ſollte, Mann fuͤr Mann, die
Summe fuͤr die Bibel herzuſchießen. Da
Fauſt bemerkt hatte, daß ſeine Kinder Hun-
gers ſterben koͤnnten, bevor eine ſo aufge-
klaͤrte Verſammlung einſtimmig wuͤrde, ſo
gieng er ohne Hoffnung, voller Liebe und
Grimm, auf ſeine einſame Stube. In die-
ſem Mißmuth nahm er ſeine Zauberformeln
vor. Der Gedanke etwas kuͤhnes zu wa-
gen, und Unabhaͤngigkeit von den Menſchen,
durch die Verbindung mit dem Teufel zu ſu-
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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/27>, abgerufen am 21.11.2024.
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