Gnüge zu leisten, lockten sie unter allerley Vorwand arme, unbedeutende Leute nach einem von der Stadt abgelegnen Hause, des- sen obern Theil sie so eingerichtet hatten, daß man weder von außen noch von innen wahrnehmen konnte, was darinnen vor- gieng. Hier banden sie diese Unglücklichen mit Stricken auf einen langen Tisch, leg- ten ihnen ein Querholz in den Mund, lösten ihnen eine Haut nach der andern ab, ent- blößten ihre Muskeln, Nerven, ihr Herz, Gehirn, und zerlegten sie bey lebendigem Lei- be, mit eben der Kälte und Aufmerksamkeit, als man einen unempfindlichen Leichnam anatomirt. Um recht hinter das, was sie suchten zu kommen, nährten sie diese Elen- den gewaltsam mit stärkenden Brühen, und ließen sie viele Tage lang unter Messerschnit- ten und langsamem Zerreißen der Bande des Lebens, des peinlichsten Tods hinsterben. Der Teufel wußte, daß sie eben versammelt waren, und sagte zu Faust: "du hast einen "Wundarzt gesehen, der aus Menschenliebe
"oder
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Gnuͤge zu leiſten, lockten ſie unter allerley Vorwand arme, unbedeutende Leute nach einem von der Stadt abgelegnen Hauſe, deſ- ſen obern Theil ſie ſo eingerichtet hatten, daß man weder von außen noch von innen wahrnehmen konnte, was darinnen vor- gieng. Hier banden ſie dieſe Ungluͤcklichen mit Stricken auf einen langen Tiſch, leg- ten ihnen ein Querholz in den Mund, loͤſten ihnen eine Haut nach der andern ab, ent- bloͤßten ihre Muskeln, Nerven, ihr Herz, Gehirn, und zerlegten ſie bey lebendigem Lei- be, mit eben der Kaͤlte und Aufmerkſamkeit, als man einen unempfindlichen Leichnam anatomirt. Um recht hinter das, was ſie ſuchten zu kommen, naͤhrten ſie dieſe Elen- den gewaltſam mit ſtaͤrkenden Bruͤhen, und ließen ſie viele Tage lang unter Meſſerſchnit- ten und langſamem Zerreißen der Bande des Lebens, des peinlichſten Tods hinſterben. Der Teufel wußte, daß ſie eben verſammelt waren, und ſagte zu Fauſt: „du haſt einen „Wundarzt geſehen, der aus Menſchenliebe
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Gnuͤge zu leiſten, lockten ſie unter allerley
Vorwand arme, unbedeutende Leute nach
einem von der Stadt abgelegnen Hauſe, deſ-
ſen obern Theil ſie ſo eingerichtet hatten,
daß man weder von außen noch von innen
wahrnehmen konnte, was darinnen vor-
gieng. Hier banden ſie dieſe Ungluͤcklichen
mit Stricken auf einen langen Tiſch, leg-
ten ihnen ein Querholz in den Mund, loͤſten
ihnen eine Haut nach der andern ab, ent-
bloͤßten ihre Muskeln, Nerven, ihr Herz,
Gehirn, und zerlegten ſie bey lebendigem Lei-
be, mit eben der Kaͤlte und Aufmerkſamkeit,
als man einen unempfindlichen Leichnam
anatomirt. Um recht hinter das, was ſie
ſuchten zu kommen, naͤhrten ſie dieſe Elen-
den gewaltſam mit ſtaͤrkenden Bruͤhen, und
ließen ſie viele Tage lang unter Meſſerſchnit-
ten und langſamem Zerreißen der Bande des
Lebens, des peinlichſten Tods hinſterben.
Der Teufel wußte, daß ſie eben verſammelt
waren, und ſagte zu Fauſt: „du haſt einen
„Wundarzt geſehen, der aus Menſchenliebe
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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/286>, abgerufen am 22.11.2024.
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