lung die Hände rangen. Dann sah er sie auf die Knie fallen, und für ihn zu dem be- ten, dem er eben entsagen wollte. "Es ist "der Mangel, es ist mein Elend, das sie in "Verzweiflung stürzt;" schrie er wild, und stampfte mit dem Fuße auf den Boden. Sein stolzer Geist zürnte der Schwäche sei- nes Herzens. Er drang abermals nach dem Kreiße, der Sturm rasselte an seinen Fenstern, die Grundfeste des Hauses zitterte. Eine edle Gestalt trat vor ihn, und rief ihm zu:
"Faust! Faust!"
Faust. Wer bist du, der du mein küh- nes Werk unterbrichst?
Gestalt. Ich bin der Genius der Mensch- heit, und will dich retten, wenn du zu ret- ten bist.
Faust. Was kannst du mir geben, mei- nen Durst nach Wissen, meinen Drang nach Genuß und Freyheit zu stillen?
Gestalt. Demuth, Unterwerfung im Leiden, Gnügsamkeit und hohes Gefühl dei-
nes
B 2
lung die Haͤnde rangen. Dann ſah er ſie auf die Knie fallen, und fuͤr ihn zu dem be- ten, dem er eben entſagen wollte. „Es iſt „der Mangel, es iſt mein Elend, das ſie in „Verzweiflung ſtuͤrzt;“ ſchrie er wild, und ſtampfte mit dem Fuße auf den Boden. Sein ſtolzer Geiſt zuͤrnte der Schwaͤche ſei- nes Herzens. Er drang abermals nach dem Kreiße, der Sturm raſſelte an ſeinen Fenſtern, die Grundfeſte des Hauſes zitterte. Eine edle Geſtalt trat vor ihn, und rief ihm zu:
„Fauſt! Fauſt!“
Fauſt. Wer biſt du, der du mein kuͤh- nes Werk unterbrichſt?
Geſtalt. Ich bin der Genius der Menſch- heit, und will dich retten, wenn du zu ret- ten biſt.
Fauſt. Was kannſt du mir geben, mei- nen Durſt nach Wiſſen, meinen Drang nach Genuß und Freyheit zu ſtillen?
Geſtalt. Demuth, Unterwerfung im Leiden, Gnuͤgſamkeit und hohes Gefuͤhl dei-
nes
B 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0030"n="19"/>
lung die Haͤnde rangen. Dann ſah er ſie<lb/>
auf die Knie fallen, und fuͤr ihn zu dem be-<lb/>
ten, dem er eben entſagen wollte. „Es iſt<lb/>„der Mangel, es iſt mein Elend, das ſie in<lb/>„Verzweiflung ſtuͤrzt;“ſchrie er wild, und<lb/>ſtampfte mit dem Fuße auf den Boden.<lb/>
Sein ſtolzer Geiſt zuͤrnte der Schwaͤche ſei-<lb/>
nes Herzens. Er drang abermals nach<lb/>
dem Kreiße, der Sturm raſſelte an ſeinen<lb/>
Fenſtern, die Grundfeſte des Hauſes zitterte.<lb/>
Eine edle Geſtalt trat vor ihn, und rief<lb/>
ihm zu:</p><lb/><p>„Fauſt! Fauſt!“</p><lb/><p><hirendition="#fr">Fauſt</hi>. Wer biſt du, der du mein kuͤh-<lb/>
nes Werk unterbrichſt?</p><lb/><p><hirendition="#fr">Geſtalt</hi>. Ich bin der Genius der Menſch-<lb/>
heit, und will dich retten, wenn du zu ret-<lb/>
ten biſt.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Fauſt</hi>. Was kannſt du mir geben, mei-<lb/>
nen Durſt nach Wiſſen, meinen Drang nach<lb/>
Genuß und Freyheit zu ſtillen?</p><lb/><p><hirendition="#fr">Geſtalt</hi>. Demuth, Unterwerfung im<lb/>
Leiden, Gnuͤgſamkeit und hohes Gefuͤhl dei-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">B 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">nes</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[19/0030]
lung die Haͤnde rangen. Dann ſah er ſie
auf die Knie fallen, und fuͤr ihn zu dem be-
ten, dem er eben entſagen wollte. „Es iſt
„der Mangel, es iſt mein Elend, das ſie in
„Verzweiflung ſtuͤrzt;“ ſchrie er wild, und
ſtampfte mit dem Fuße auf den Boden.
Sein ſtolzer Geiſt zuͤrnte der Schwaͤche ſei-
nes Herzens. Er drang abermals nach
dem Kreiße, der Sturm raſſelte an ſeinen
Fenſtern, die Grundfeſte des Hauſes zitterte.
Eine edle Geſtalt trat vor ihn, und rief
ihm zu:
„Fauſt! Fauſt!“
Fauſt. Wer biſt du, der du mein kuͤh-
nes Werk unterbrichſt?
Geſtalt. Ich bin der Genius der Menſch-
heit, und will dich retten, wenn du zu ret-
ten biſt.
Fauſt. Was kannſt du mir geben, mei-
nen Durſt nach Wiſſen, meinen Drang nach
Genuß und Freyheit zu ſtillen?
Geſtalt. Demuth, Unterwerfung im
Leiden, Gnuͤgſamkeit und hohes Gefuͤhl dei-
nes
B 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/30>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.