nes Selbsts; sanften Tod und Licht nach diesem Leben.
Faust. Verschwinde, Traumbild meiner erhitzten Phantasie, ich erkenne dich an der List, womit du die Elenden täuschest, die du der Gewalt unterworfen hast. Gaukele vor der Stirne des Bettlers, des zertretnen Sclaven, des Mönchs, und aller derer, die ihr Herz durch unnatürliche Bande gefesselt haben, und ihren Sinn durch Kunst hin- aufschrauben, um der Klaue der Verzweif- lung zu entwischen. Die Kräfte meines Herzens wollen Raum, und der verantwor- te für ihr Würken, der mir sie gegeben hat.
"Du wirst mich wieder sehen," seufzte der Genius, und verschwand.
Faust rief: "Necken mich die Mähr- "chen der Amme noch am Rande der Höl- "le? Sie sollen mich nicht abhalten, das "Dunkel zu durchbrechen. Ich will wis- "sen, was der düstre Vorhang verbirgt, "den eine tyrannische Hand vor unsre Au- "gen gezogen hat. Hab ich mich so ge-
"bildet,
nes Selbſts; ſanften Tod und Licht nach dieſem Leben.
Fauſt. Verſchwinde, Traumbild meiner erhitzten Phantaſie, ich erkenne dich an der Liſt, womit du die Elenden taͤuſcheſt, die du der Gewalt unterworfen haſt. Gaukele vor der Stirne des Bettlers, des zertretnen Sclaven, des Moͤnchs, und aller derer, die ihr Herz durch unnatuͤrliche Bande gefeſſelt haben, und ihren Sinn durch Kunſt hin- aufſchrauben, um der Klaue der Verzweif- lung zu entwiſchen. Die Kraͤfte meines Herzens wollen Raum, und der verantwor- te fuͤr ihr Wuͤrken, der mir ſie gegeben hat.
„Du wirſt mich wieder ſehen,“ ſeufzte der Genius, und verſchwand.
Fauſt rief: „Necken mich die Maͤhr- „chen der Amme noch am Rande der Hoͤl- „le? Sie ſollen mich nicht abhalten, das „Dunkel zu durchbrechen. Ich will wiſ- „ſen, was der duͤſtre Vorhang verbirgt, „den eine tyranniſche Hand vor unſre Au- „gen gezogen hat. Hab ich mich ſo ge-
„bildet,
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nes Selbſts; ſanften Tod und Licht nach
dieſem Leben.
Fauſt. Verſchwinde, Traumbild meiner
erhitzten Phantaſie, ich erkenne dich an der
Liſt, womit du die Elenden taͤuſcheſt, die du
der Gewalt unterworfen haſt. Gaukele vor
der Stirne des Bettlers, des zertretnen
Sclaven, des Moͤnchs, und aller derer, die
ihr Herz durch unnatuͤrliche Bande gefeſſelt
haben, und ihren Sinn durch Kunſt hin-
aufſchrauben, um der Klaue der Verzweif-
lung zu entwiſchen. Die Kraͤfte meines
Herzens wollen Raum, und der verantwor-
te fuͤr ihr Wuͤrken, der mir ſie gegeben hat.
„Du wirſt mich wieder ſehen,“ ſeufzte
der Genius, und verſchwand.
Fauſt rief: „Necken mich die Maͤhr-
„chen der Amme noch am Rande der Hoͤl-
„le? Sie ſollen mich nicht abhalten, das
„Dunkel zu durchbrechen. Ich will wiſ-
„ſen, was der duͤſtre Vorhang verbirgt,
„den eine tyranniſche Hand vor unſre Au-
„gen gezogen hat. Hab ich mich ſo ge-
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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/31>, abgerufen am 21.11.2024.
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