"bildet, daß das Loos der Beschränktheit "meine Kraft empört? Hab' ich die Flam- "me der Leidenschaft in meinem Busen an- "geblasen? Hab' ich den Trieb, immer zu "wachsen, und nie stille zu stehen, in mein "Herz gelegt? Hab' ich meinen Geist so ge- "stimmt, daß er sich nicht unterwerfen, "und die Verachtung nicht ertragen kann? "Wie ich, der Topf, von fremder Hand ge- "bildet, soll darum einst gewaltsam zerschla- "gen werden, weil er dem Werkmeister nicht "nach seinem Sinn gelang, weil er dem "niedrigen Gebrauch nicht entspricht, zu "dem er ihn geformt zu haben scheint? Und "immer nur Gefäß, immer nur Werkzeug, "immer nur Unterwerfung; wozu denn "dies widersprechende lautschreyende Ge- "fühl, von Freyheit und eigner Kraft dem "Sclaven? Ewigkeit! Dauer! Schallt ein "Sinn heraus? Was der Mensch fühlt, "genießt und faßt, nur das ist sein, alles "übrige ist Erscheinung, die er nicht erklä- "ren kann. Der Stier nutzt die Kraft sei-
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„bildet, daß das Loos der Beſchraͤnktheit „meine Kraft empoͤrt? Hab’ ich die Flam- „me der Leidenſchaft in meinem Buſen an- „geblaſen? Hab’ ich den Trieb, immer zu „wachſen, und nie ſtille zu ſtehen, in mein „Herz gelegt? Hab’ ich meinen Geiſt ſo ge- „ſtimmt, daß er ſich nicht unterwerfen, „und die Verachtung nicht ertragen kann? „Wie ich, der Topf, von fremder Hand ge- „bildet, ſoll darum einſt gewaltſam zerſchla- „gen werden, weil er dem Werkmeiſter nicht „nach ſeinem Sinn gelang, weil er dem „niedrigen Gebrauch nicht entſpricht, zu „dem er ihn geformt zu haben ſcheint? Und „immer nur Gefaͤß, immer nur Werkzeug, „immer nur Unterwerfung; wozu denn „dies widerſprechende lautſchreyende Ge- „fuͤhl, von Freyheit und eigner Kraft dem „Sclaven? Ewigkeit! Dauer! Schallt ein „Sinn heraus? Was der Menſch fuͤhlt, „genießt und faßt, nur das iſt ſein, alles „uͤbrige iſt Erſcheinung, die er nicht erklaͤ- „ren kann. Der Stier nutzt die Kraft ſei-
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„bildet, daß das Loos der Beſchraͤnktheit
„meine Kraft empoͤrt? Hab’ ich die Flam-
„me der Leidenſchaft in meinem Buſen an-
„geblaſen? Hab’ ich den Trieb, immer zu
„wachſen, und nie ſtille zu ſtehen, in mein
„Herz gelegt? Hab’ ich meinen Geiſt ſo ge-
„ſtimmt, daß er ſich nicht unterwerfen,
„und die Verachtung nicht ertragen kann?
„Wie ich, der Topf, von fremder Hand ge-
„bildet, ſoll darum einſt gewaltſam zerſchla-
„gen werden, weil er dem Werkmeiſter nicht
„nach ſeinem Sinn gelang, weil er dem
„niedrigen Gebrauch nicht entſpricht, zu
„dem er ihn geformt zu haben ſcheint? Und
„immer nur Gefaͤß, immer nur Werkzeug,
„immer nur Unterwerfung; wozu denn
„dies widerſprechende lautſchreyende Ge-
„fuͤhl, von Freyheit und eigner Kraft dem
„Sclaven? Ewigkeit! Dauer! Schallt ein
„Sinn heraus? Was der Menſch fuͤhlt,
„genießt und faßt, nur das iſt ſein, alles
„uͤbrige iſt Erſcheinung, die er nicht erklaͤ-
„ren kann. Der Stier nutzt die Kraft ſei-
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Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/32>, abgerufen am 21.11.2024.
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