Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

"bildet, daß das Loos der Beschränktheit
"meine Kraft empört? Hab' ich die Flam-
"me der Leidenschaft in meinem Busen an-
"geblasen? Hab' ich den Trieb, immer zu
"wachsen, und nie stille zu stehen, in mein
"Herz gelegt? Hab' ich meinen Geist so ge-
"stimmt, daß er sich nicht unterwerfen,
"und die Verachtung nicht ertragen kann?
"Wie ich, der Topf, von fremder Hand ge-
"bildet, soll darum einst gewaltsam zerschla-
"gen werden, weil er dem Werkmeister nicht
"nach seinem Sinn gelang, weil er dem
"niedrigen Gebrauch nicht entspricht, zu
"dem er ihn geformt zu haben scheint? Und
"immer nur Gefäß, immer nur Werkzeug,
"immer nur Unterwerfung; wozu denn
"dies widersprechende lautschreyende Ge-
"fühl, von Freyheit und eigner Kraft dem
"Sclaven? Ewigkeit! Dauer! Schallt ein
"Sinn heraus? Was der Mensch fühlt,
"genießt und faßt, nur das ist sein, alles
"übrige ist Erscheinung, die er nicht erklä-
"ren kann. Der Stier nutzt die Kraft sei-

"ner
B 3

„bildet, daß das Loos der Beſchraͤnktheit
„meine Kraft empoͤrt? Hab’ ich die Flam-
„me der Leidenſchaft in meinem Buſen an-
„geblaſen? Hab’ ich den Trieb, immer zu
„wachſen, und nie ſtille zu ſtehen, in mein
„Herz gelegt? Hab’ ich meinen Geiſt ſo ge-
„ſtimmt, daß er ſich nicht unterwerfen,
„und die Verachtung nicht ertragen kann?
„Wie ich, der Topf, von fremder Hand ge-
„bildet, ſoll darum einſt gewaltſam zerſchla-
„gen werden, weil er dem Werkmeiſter nicht
„nach ſeinem Sinn gelang, weil er dem
„niedrigen Gebrauch nicht entſpricht, zu
„dem er ihn geformt zu haben ſcheint? Und
„immer nur Gefaͤß, immer nur Werkzeug,
„immer nur Unterwerfung; wozu denn
„dies widerſprechende lautſchreyende Ge-
„fuͤhl, von Freyheit und eigner Kraft dem
„Sclaven? Ewigkeit! Dauer! Schallt ein
„Sinn heraus? Was der Menſch fuͤhlt,
„genießt und faßt, nur das iſt ſein, alles
„uͤbrige iſt Erſcheinung, die er nicht erklaͤ-
„ren kann. Der Stier nutzt die Kraft ſei-

„ner
B 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0032" n="21"/>
&#x201E;bildet, daß das Loos der Be&#x017F;chra&#x0364;nktheit<lb/>
&#x201E;meine Kraft empo&#x0364;rt? Hab&#x2019; ich die Flam-<lb/>
&#x201E;me der Leiden&#x017F;chaft in meinem Bu&#x017F;en an-<lb/>
&#x201E;gebla&#x017F;en? Hab&#x2019; ich den Trieb, immer zu<lb/>
&#x201E;wach&#x017F;en, und nie &#x017F;tille zu &#x017F;tehen, in mein<lb/>
&#x201E;Herz gelegt? Hab&#x2019; ich meinen Gei&#x017F;t &#x017F;o ge-<lb/>
&#x201E;&#x017F;timmt, daß er &#x017F;ich nicht unterwerfen,<lb/>
&#x201E;und die Verachtung nicht ertragen kann?<lb/>
&#x201E;Wie ich, der Topf, von fremder Hand ge-<lb/>
&#x201E;bildet, &#x017F;oll darum ein&#x017F;t gewalt&#x017F;am zer&#x017F;chla-<lb/>
&#x201E;gen werden, weil er dem Werkmei&#x017F;ter nicht<lb/>
&#x201E;nach &#x017F;einem Sinn gelang, weil er dem<lb/>
&#x201E;niedrigen Gebrauch nicht ent&#x017F;pricht, zu<lb/>
&#x201E;dem er ihn geformt zu haben &#x017F;cheint? Und<lb/>
&#x201E;immer nur Gefa&#x0364;ß, immer nur Werkzeug,<lb/>
&#x201E;immer nur Unterwerfung; wozu denn<lb/>
&#x201E;dies wider&#x017F;prechende laut&#x017F;chreyende Ge-<lb/>
&#x201E;fu&#x0364;hl, von Freyheit und eigner Kraft dem<lb/>
&#x201E;Sclaven? Ewigkeit! Dauer! Schallt ein<lb/>
&#x201E;Sinn heraus? Was der Men&#x017F;ch fu&#x0364;hlt,<lb/>
&#x201E;genießt und faßt, nur das i&#x017F;t &#x017F;ein, alles<lb/>
&#x201E;u&#x0364;brige i&#x017F;t Er&#x017F;cheinung, die er nicht erkla&#x0364;-<lb/>
&#x201E;ren kann. Der Stier nutzt die Kraft &#x017F;ei-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 3</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x201E;ner</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0032] „bildet, daß das Loos der Beſchraͤnktheit „meine Kraft empoͤrt? Hab’ ich die Flam- „me der Leidenſchaft in meinem Buſen an- „geblaſen? Hab’ ich den Trieb, immer zu „wachſen, und nie ſtille zu ſtehen, in mein „Herz gelegt? Hab’ ich meinen Geiſt ſo ge- „ſtimmt, daß er ſich nicht unterwerfen, „und die Verachtung nicht ertragen kann? „Wie ich, der Topf, von fremder Hand ge- „bildet, ſoll darum einſt gewaltſam zerſchla- „gen werden, weil er dem Werkmeiſter nicht „nach ſeinem Sinn gelang, weil er dem „niedrigen Gebrauch nicht entſpricht, zu „dem er ihn geformt zu haben ſcheint? Und „immer nur Gefaͤß, immer nur Werkzeug, „immer nur Unterwerfung; wozu denn „dies widerſprechende lautſchreyende Ge- „fuͤhl, von Freyheit und eigner Kraft dem „Sclaven? Ewigkeit! Dauer! Schallt ein „Sinn heraus? Was der Menſch fuͤhlt, „genießt und faßt, nur das iſt ſein, alles „uͤbrige iſt Erſcheinung, die er nicht erklaͤ- „ren kann. Der Stier nutzt die Kraft ſei- „ner B 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/32
Zitationshilfe: Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/32>, abgerufen am 21.11.2024.