"Mich stempelte die [N]atur zum Helden, und "ihn den Sanftern zum Pfaffen. Wir müs- "sen also den verhaßten Streich zu verbes- "sern suchen, den uns der Zufall gespielt "hat, wenn wir das erfüllen wollen, wozu "wir geboren sind. Sieh uns beyde an! "wer kann sagen, wir seyen von einem "Vater? Und was liegt nun daran, daß "er mein Bruder ist? Wer sich über andre "erheben will, muß alle Hindernisse seines "Emporsteigens mit Füßen treten, und die "weichlichen, schwachen Bande der Natur, "Zärtlichkeit und Verwandtschaft vergessen; "ja wenn er ein Mann ist, auch wohl seine "Hände in das Blut derer tauchen, die sei- "nem unternehmenden Geist durch ihr Da- "seyn Fesseln sind. So thaten alle große "Männer, so handelte der Stifter des un- "sterblichen Roms. Damit Rom werde, "was er in ahndungsvollem Geiste sah, "mußte sein Bruder fallen; damit Cäsar "Borgia groß werde, muß sein Bruder blu- "ten. Rom soll von neuem durch mich,
"der
„Mich ſtempelte die [N]atur zum Helden, und „ihn den Sanftern zum Pfaffen. Wir muͤſ- „ſen alſo den verhaßten Streich zu verbeſ- „ſern ſuchen, den uns der Zufall geſpielt „hat, wenn wir das erfuͤllen wollen, wozu „wir geboren ſind. Sieh uns beyde an! „wer kann ſagen, wir ſeyen von einem „Vater? Und was liegt nun daran, daß „er mein Bruder iſt? Wer ſich uͤber andre „erheben will, muß alle Hinderniſſe ſeines „Emporſteigens mit Fuͤßen treten, und die „weichlichen, ſchwachen Bande der Natur, „Zaͤrtlichkeit und Verwandtſchaft vergeſſen; „ja wenn er ein Mann iſt, auch wohl ſeine „Haͤnde in das Blut derer tauchen, die ſei- „nem unternehmenden Geiſt durch ihr Da- „ſeyn Feſſeln ſind. So thaten alle große „Maͤnner, ſo handelte der Stifter des un- „ſterblichen Roms. Damit Rom werde, „was er in ahndungsvollem Geiſte ſah, „mußte ſein Bruder fallen; damit Caͤſar „Borgia groß werde, muß ſein Bruder blu- „ten. Rom ſoll von neuem durch mich,
„der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0323"n="312"/>„Mich ſtempelte die <supplied>N</supplied>atur zum Helden, und<lb/>„ihn den Sanftern zum Pfaffen. Wir muͤſ-<lb/>„ſen alſo den verhaßten Streich zu verbeſ-<lb/>„ſern ſuchen, den uns der Zufall geſpielt<lb/>„hat, wenn wir das erfuͤllen wollen, wozu<lb/>„wir geboren ſind. Sieh uns beyde an!<lb/>„wer kann ſagen, wir ſeyen von einem<lb/>„Vater? Und was liegt nun daran, daß<lb/>„er mein Bruder iſt? Wer ſich uͤber andre<lb/>„erheben will, muß alle Hinderniſſe ſeines<lb/>„Emporſteigens mit Fuͤßen treten, und die<lb/>„weichlichen, ſchwachen Bande der Natur,<lb/>„Zaͤrtlichkeit und Verwandtſchaft vergeſſen;<lb/>„ja wenn er ein Mann iſt, auch wohl ſeine<lb/>„Haͤnde in das Blut derer tauchen, die ſei-<lb/>„nem unternehmenden Geiſt durch ihr Da-<lb/>„ſeyn Feſſeln ſind. So thaten alle große<lb/>„Maͤnner, ſo handelte der Stifter des un-<lb/>„ſterblichen Roms. Damit Rom werde,<lb/>„was er in ahndungsvollem Geiſte ſah,<lb/>„mußte ſein Bruder fallen; damit Caͤſar<lb/>„Borgia groß werde, muß ſein Bruder blu-<lb/>„ten. Rom ſoll von neuem durch mich,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">„der</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[312/0323]
„Mich ſtempelte die Natur zum Helden, und
„ihn den Sanftern zum Pfaffen. Wir muͤſ-
„ſen alſo den verhaßten Streich zu verbeſ-
„ſern ſuchen, den uns der Zufall geſpielt
„hat, wenn wir das erfuͤllen wollen, wozu
„wir geboren ſind. Sieh uns beyde an!
„wer kann ſagen, wir ſeyen von einem
„Vater? Und was liegt nun daran, daß
„er mein Bruder iſt? Wer ſich uͤber andre
„erheben will, muß alle Hinderniſſe ſeines
„Emporſteigens mit Fuͤßen treten, und die
„weichlichen, ſchwachen Bande der Natur,
„Zaͤrtlichkeit und Verwandtſchaft vergeſſen;
„ja wenn er ein Mann iſt, auch wohl ſeine
„Haͤnde in das Blut derer tauchen, die ſei-
„nem unternehmenden Geiſt durch ihr Da-
„ſeyn Feſſeln ſind. So thaten alle große
„Maͤnner, ſo handelte der Stifter des un-
„ſterblichen Roms. Damit Rom werde,
„was er in ahndungsvollem Geiſte ſah,
„mußte ſein Bruder fallen; damit Caͤſar
„Borgia groß werde, muß ſein Bruder blu-
„ten. Rom ſoll von neuem durch mich,
„der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/323>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.