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Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von: Asiatische Banise. 2. Aufl. Leipzig, 1700.

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Drittes Buch.
nem kläglichen Beyspiel vorstellen muß! Suchen
wir unsere Lebens-Versüssung an den Höfen der
Printzen/ so begeben wir uns zur Herbst-Zeit auff
eine See/ welche uns durch verborgene Klippen
und Sand-Bäncke einen täglichen Schiffbruch
dräuet. Ja die Vergnügung ist nirgend weniger
denn hier/ zu finden/ weil stetes Mißtrauen und
Furcht iedweden Schritt begleiten: Und rühmet
sich gleich einer in dem Schooß der Gnaden zu si-
tzen/ so kan doch ein unzeitiges Wort oder Geber-
de tausend Donner-Keile aus dieser Gnaden-
Wolcke ziehen/ welche sein Glücke im Augenblick
zerschmettern. Hier weinet offt das Auge bey la-
chendem Hertzen/ und ein Todt-Feind schmücket
sich mit Freundschaffts-Larven: ja die Liebe des
Nechsten wird zu Hofe ein Ungeheuer/ und diese
Tochter der Natur eine Mißgeburth der Welt.
Hier muß man allen Blicken einen Kapzaum an-
legen/ dem jenigen am meisten heucheln/ welcher
uns am meisten unterdrückt/ und auch die schänd-
lichsten Gebrechen als Tugenden ausstreichen/ daß
also/ da wir offt die grösten Sclaven seyn/ wir
uns doch aus stoltzer Einbildung Herren zu seyn
bedüncken. Viel weniger kan und soll uns Reich-
thum/ als die güldene Folter-Banck des Ge-
müths/ noch einig scheinbahres Glücke oder Ehre
das Leben dermassen beliebt machen/ daß wir den
Tod so gar hassen/ und ein ewiges Leben dieser
Zeitligkeit wünschen solten. Es muß ieder beken-
nen/ daß er sich öffters über die Länge der Zeit be-

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Drittes Buch.
nem klaͤglichen Beyſpiel vorſtellen muß! Suchen
wir unſere Lebens-Verſuͤſſung an den Hoͤfen der
Printzen/ ſo begeben wir uns zur Herbſt-Zeit auff
eine See/ welche uns durch verborgene Klippen
und Sand-Baͤncke einen taͤglichen Schiffbruch
draͤuet. Ja die Vergnuͤgung iſt nirgend weniger
denn hier/ zu finden/ weil ſtetes Mißtrauen und
Furcht iedweden Schritt begleiten: Und ruͤhmet
ſich gleich einer in dem Schooß der Gnaden zu ſi-
tzen/ ſo kan doch ein unzeitiges Wort oder Geber-
de tauſend Donner-Keile aus dieſer Gnaden-
Wolcke ziehen/ welche ſein Gluͤcke im Augenblick
zerſchmettern. Hier weinet offt das Auge bey la-
chendem Hertzen/ und ein Todt-Feind ſchmuͤcket
ſich mit Freundſchaffts-Larven: ja die Liebe des
Nechſten wird zu Hofe ein Ungeheuer/ und dieſe
Tochter der Natur eine Mißgeburth der Welt.
Hier muß man allen Blicken einen Kapzaum an-
legen/ dem jenigen am meiſten heucheln/ welcher
uns am meiſten unterdruͤckt/ und auch die ſchaͤnd-
lichſten Gebrechen als Tugenden ausſtꝛeichen/ daß
alſo/ da wir offt die groͤſten Sclaven ſeyn/ wir
uns doch aus ſtoltzer Einbildung Herren zu ſeyn
beduͤncken. Viel weniger kan und ſoll uns Reich-
thum/ als die guͤldene Folter-Banck des Ge-
muͤths/ noch einig ſcheinbahres Gluͤcke oder Ehre
das Leben dermaſſen beliebt machen/ daß wir den
Tod ſo gar haſſen/ und ein ewiges Leben dieſer
Zeitligkeit wuͤnſchen ſolten. Es muß ieder beken-
nen/ daß er ſich oͤffters uͤber die Laͤnge der Zeit be-

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[677/0697] Drittes Buch. nem klaͤglichen Beyſpiel vorſtellen muß! Suchen wir unſere Lebens-Verſuͤſſung an den Hoͤfen der Printzen/ ſo begeben wir uns zur Herbſt-Zeit auff eine See/ welche uns durch verborgene Klippen und Sand-Baͤncke einen taͤglichen Schiffbruch draͤuet. Ja die Vergnuͤgung iſt nirgend weniger denn hier/ zu finden/ weil ſtetes Mißtrauen und Furcht iedweden Schritt begleiten: Und ruͤhmet ſich gleich einer in dem Schooß der Gnaden zu ſi- tzen/ ſo kan doch ein unzeitiges Wort oder Geber- de tauſend Donner-Keile aus dieſer Gnaden- Wolcke ziehen/ welche ſein Gluͤcke im Augenblick zerſchmettern. Hier weinet offt das Auge bey la- chendem Hertzen/ und ein Todt-Feind ſchmuͤcket ſich mit Freundſchaffts-Larven: ja die Liebe des Nechſten wird zu Hofe ein Ungeheuer/ und dieſe Tochter der Natur eine Mißgeburth der Welt. Hier muß man allen Blicken einen Kapzaum an- legen/ dem jenigen am meiſten heucheln/ welcher uns am meiſten unterdruͤckt/ und auch die ſchaͤnd- lichſten Gebrechen als Tugenden ausſtꝛeichen/ daß alſo/ da wir offt die groͤſten Sclaven ſeyn/ wir uns doch aus ſtoltzer Einbildung Herren zu ſeyn beduͤncken. Viel weniger kan und ſoll uns Reich- thum/ als die guͤldene Folter-Banck des Ge- muͤths/ noch einig ſcheinbahres Gluͤcke oder Ehre das Leben dermaſſen beliebt machen/ daß wir den Tod ſo gar haſſen/ und ein ewiges Leben dieſer Zeitligkeit wuͤnſchen ſolten. Es muß ieder beken- nen/ daß er ſich oͤffters uͤber die Laͤnge der Zeit be- ſchwe- U u 3

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Zitationshilfe: Ziegler und Kliphausen, Heinrich Anselm von: Asiatische Banise. 2. Aufl. Leipzig, 1700, S. 677. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kliphausen_helikon_1689/697>, abgerufen am 26.06.2024.