Die niedrige Denkungsart, nicht zulassen zu wollen, daß einer in mehr als Einer Wis- senschaft vortreflich sey, wird an dem, der sie in öffentlichen Urtheilen zu erkennen giebt, dadurch gestraft, daß er kein Zünfter werden kann, oder, ist er einer, aus der Zunft ge- stossen wird.
L. G. Einer zeigt sich etwa so in einer Wissen- schaft, daß selbst seine Neider müssen ein- gestehn, er habe Haare auf den Zähnen. Darauf begiebt er sich auch wol in eine andre Wissenschaft hinein, und arbeitet in selbiger; da treten denn straks Leute auf, rufen, und schelten: Glattkinn! Glattkinn! Und dieß Gerufe und Geschelte treiben sie nicht deswegen, weil sie's aus der Beschaf- fenheit der neuen Arbeit darthun können, daß der es verdiene, der selbige unter- nommen hat; sondern weil sie eine ver- wachsene Seele haben, und daher auf kei- ne Weise zulassen und dulden wollen, daß einer in mehr als Einer Sache, (denn es ist ihnen schon gar widrig, daß es in Einer geschehn ist) sich hervorthue. Wie sehr
nun
F 4
2
Die niedrige Denkungsart, nicht zulaſſen zu wollen, daß einer in mehr als Einer Wiſ- ſenſchaft vortreflich ſey, wird an dem, der ſie in oͤffentlichen Urtheilen zu erkennen giebt, dadurch geſtraft, daß er kein Zuͤnfter werden kann, oder, iſt er einer, aus der Zunft ge- ſtoſſen wird.
L. G. Einer zeigt ſich etwa ſo in einer Wiſſen- ſchaft, daß ſelbſt ſeine Neider muͤſſen ein- geſtehn, er habe Haare auf den Zaͤhnen. Darauf begiebt er ſich auch wol in eine andre Wiſſenſchaft hinein, und arbeitet in ſelbiger; da treten denn ſtraks Leute auf, rufen, und ſchelten: Glattkinn! Glattkinn! Und dieß Gerufe und Geſchelte treiben ſie nicht deswegen, weil ſie’s aus der Beſchaf- fenheit der neuen Arbeit darthun koͤnnen, daß der es verdiene, der ſelbige unter- nommen hat; ſondern weil ſie eine ver- wachſene Seele haben, und daher auf kei- ne Weiſe zulaſſen und dulden wollen, daß einer in mehr als Einer Sache, (denn es iſt ihnen ſchon gar widrig, daß es in Einer geſchehn iſt) ſich hervorthue. Wie ſehr
nun
F 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0163"n="87"/><divn="3"><head>2</head><lb/><p>Die niedrige Denkungsart, nicht zulaſſen<lb/>
zu wollen, daß einer in mehr als Einer Wiſ-<lb/>ſenſchaft vortreflich ſey, wird an dem, der<lb/>ſie in oͤffentlichen Urtheilen zu erkennen giebt,<lb/>
dadurch geſtraft, daß er kein Zuͤnfter werden<lb/>
kann, oder, iſt er einer, aus der Zunft ge-<lb/>ſtoſſen wird.</p><lb/><cit><quote><hirendition="#c">L. G.</hi><lb/><hirendition="#fr">Einer zeigt ſich etwa ſo in einer Wiſſen-<lb/>ſchaft, daß ſelbſt ſeine Neider muͤſſen ein-<lb/>
geſtehn, er habe Haare auf den Zaͤhnen.<lb/>
Darauf begiebt er ſich auch wol in eine<lb/>
andre Wiſſenſchaft hinein, und arbeitet in<lb/>ſelbiger; da treten denn ſtraks Leute auf,<lb/>
rufen, und ſchelten: Glattkinn! Glattkinn!<lb/>
Und dieß Gerufe und Geſchelte treiben ſie<lb/>
nicht deswegen, weil ſie’s aus der Beſchaf-<lb/>
fenheit der neuen Arbeit darthun koͤnnen,<lb/>
daß der es verdiene, der ſelbige unter-<lb/>
nommen hat; ſondern weil ſie eine ver-<lb/>
wachſene Seele haben, und daher auf kei-<lb/>
ne Weiſe zulaſſen und dulden wollen, daß<lb/>
einer in mehr als Einer Sache, (denn es<lb/>
iſt ihnen ſchon gar widrig, daß es in Einer<lb/>
geſchehn iſt) ſich hervorthue. Wie ſehr</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">F 4</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">nun</hi></fw><lb/></quote></cit></div></div></div></body></text></TEI>
[87/0163]
2
Die niedrige Denkungsart, nicht zulaſſen
zu wollen, daß einer in mehr als Einer Wiſ-
ſenſchaft vortreflich ſey, wird an dem, der
ſie in oͤffentlichen Urtheilen zu erkennen giebt,
dadurch geſtraft, daß er kein Zuͤnfter werden
kann, oder, iſt er einer, aus der Zunft ge-
ſtoſſen wird.
L. G.
Einer zeigt ſich etwa ſo in einer Wiſſen-
ſchaft, daß ſelbſt ſeine Neider muͤſſen ein-
geſtehn, er habe Haare auf den Zaͤhnen.
Darauf begiebt er ſich auch wol in eine
andre Wiſſenſchaft hinein, und arbeitet in
ſelbiger; da treten denn ſtraks Leute auf,
rufen, und ſchelten: Glattkinn! Glattkinn!
Und dieß Gerufe und Geſchelte treiben ſie
nicht deswegen, weil ſie’s aus der Beſchaf-
fenheit der neuen Arbeit darthun koͤnnen,
daß der es verdiene, der ſelbige unter-
nommen hat; ſondern weil ſie eine ver-
wachſene Seele haben, und daher auf kei-
ne Weiſe zulaſſen und dulden wollen, daß
einer in mehr als Einer Sache, (denn es
iſt ihnen ſchon gar widrig, daß es in Einer
geſchehn iſt) ſich hervorthue. Wie ſehr
nun
F 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/163>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.