Habe du wol acht auf den Unterschied, der da ist zwischen dem, der erfindet, und einem andern, der entdekt. Hernach kanst du folgende Fragen an dich ergehn lassen: Darf ich mich des Erfindens unterfangen? Soll ich suchen zu entdecken? oder muß ich beydes unterwe- gens lassen? Wer entdecken will, siehet sich gar genau um in dem Gewimmel der Dinge, so um ihm her sind; und siehet er darinn etwas, das sonst noch Niemand hatte gesehn; so hat er entdekt. Ein solcher muß vor an- derm Augen haben, und auch Feuers, und Ausdaurens genung, lang und oft hinzusehn, insonders dahin, wo ihm nun, wär's auch nur noch in der Dämmerung, etwa ein Licht- lein aufgeht. Solche Flämlein pflegen im- mer heller zu werden, je länger man hin- schaut. Meinst du, daß ein guter Weid- mann, der auch nur das Ohr eines Rehes in einem Busch ist gewahr worden, raste und ruhe, er hab es denn? Wer erfindet, sezt Vorhandnes auf neue Art und Weise zusam- men. Wie du nun zusammensezest, und was zulezt, hast du's bewerkstelligt, vor ein Zwek, Ziel, und Absicht daraus hervor- blicken, das ist's eben, worauf es dabey
gar
Von der Entdeckung und der Erfindung.
Habe du wol acht auf den Unterſchied, der da iſt zwiſchen dem, der erfindet, und einem andern, der entdekt. Hernach kanſt du folgende Fragen an dich ergehn laſſen: Darf ich mich des Erfindens unterfangen? Soll ich ſuchen zu entdecken? oder muß ich beydes unterwe- gens laſſen? Wer entdecken will, ſiehet ſich gar genau um in dem Gewimmel der Dinge, ſo um ihm her ſind; und ſiehet er darinn etwas, das ſonſt noch Niemand hatte geſehn; ſo hat er entdekt. Ein ſolcher muß vor an- derm Augen haben, und auch Feuers, und Ausdaurens genung, lang und oft hinzuſehn, inſonders dahin, wo ihm nun, waͤr’s auch nur noch in der Daͤmmerung, etwa ein Licht- lein aufgeht. Solche Flaͤmlein pflegen im- mer heller zu werden, je laͤnger man hin- ſchaut. Meinſt du, daß ein guter Weid- mann, der auch nur das Ohr eines Rehes in einem Buſch iſt gewahr worden, raſte und ruhe, er hab es denn? Wer erfindet, ſezt Vorhandnes auf neue Art und Weiſe zuſam- men. Wie du nun zuſammenſezeſt, und was zulezt, haſt du’s bewerkſtelligt, vor ein Zwek, Ziel, und Abſicht daraus hervor- blicken, das iſt’s eben, worauf es dabey
gar
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Von der Entdeckung und der Erfindung.
Habe du wol acht auf den Unterſchied, der
da iſt zwiſchen dem, der erfindet, und einem
andern, der entdekt. Hernach kanſt du folgende
Fragen an dich ergehn laſſen: Darf ich mich
des Erfindens unterfangen? Soll ich ſuchen
zu entdecken? oder muß ich beydes unterwe-
gens laſſen? Wer entdecken will, ſiehet ſich
gar genau um in dem Gewimmel der Dinge,
ſo um ihm her ſind; und ſiehet er darinn
etwas, das ſonſt noch Niemand hatte geſehn;
ſo hat er entdekt. Ein ſolcher muß vor an-
derm Augen haben, und auch Feuers, und
Ausdaurens genung, lang und oft hinzuſehn,
inſonders dahin, wo ihm nun, waͤr’s auch
nur noch in der Daͤmmerung, etwa ein Licht-
lein aufgeht. Solche Flaͤmlein pflegen im-
mer heller zu werden, je laͤnger man hin-
ſchaut. Meinſt du, daß ein guter Weid-
mann, der auch nur das Ohr eines Rehes in
einem Buſch iſt gewahr worden, raſte und
ruhe, er hab es denn? Wer erfindet, ſezt
Vorhandnes auf neue Art und Weiſe zuſam-
men. Wie du nun zuſammenſezeſt, und
was zulezt, haſt du’s bewerkſtelligt, vor ein
Zwek, Ziel, und Abſicht daraus hervor-
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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/203>, abgerufen am 22.11.2024.
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