sie mangelt ihr etwas; sie ist noch nicht ganz vollendet. Wie wenig versteht also der von der Sprache, und was kann er darstellen, der nicht einmal die Hauptbedeutungen der Wörter recht kent. Ein Maler, der blau und roth nicht von einander unterscheiden kön- te, läst sich zwar nicht denken, und doch gleicht ihm derjenige Dichter, dem es an jener Kentnis fehlt. Zu den vielfachen Bestim- mungen der Hauptbedeutungen gehört auch sanfter und starker Klang, langsame und schnelle Bewegung der Wörter, ja sogar die verschiedne Stellung dieser Bewegungen. Wie soll ihm aber, (mich deucht du fragst mich das) ein Mann thun, dessen Sprache ihm zu solchen Bemerkungen wenigen oder keinen Anlaß giebt, und die nicht einmal Wör- ter genung hat, geschweige denn viele von starker, reicher, und vielseitiger Bedeutung? Allein was geht uns denn dieser Mann an? Meinent- und deinenthalben mag er so viel er nur immer will und kann in Prosa schreiben; und es so oft und lange, als es ihm gefällig ist, Poesie nennen. Doch wenn solcher Mann nun endlich zu der Einsicht komt, wie es, in Beziehung auf die Poesie, mit seiner Sprache eigentlich beschaffen ist, was soll er dann anfangen? Dafür laß du
ihn
ſie mangelt ihr etwas; ſie iſt noch nicht ganz vollendet. Wie wenig verſteht alſo der von der Sprache, und was kann er darſtellen, der nicht einmal die Hauptbedeutungen der Woͤrter recht kent. Ein Maler, der blau und roth nicht von einander unterſcheiden koͤn- te, laͤſt ſich zwar nicht denken, und doch gleicht ihm derjenige Dichter, dem es an jener Kentnis fehlt. Zu den vielfachen Beſtim- mungen der Hauptbedeutungen gehoͤrt auch ſanfter und ſtarker Klang, langſame und ſchnelle Bewegung der Woͤrter, ja ſogar die verſchiedne Stellung dieſer Bewegungen. Wie ſoll ihm aber, (mich deucht du fragſt mich das) ein Mann thun, deſſen Sprache ihm zu ſolchen Bemerkungen wenigen oder keinen Anlaß giebt, und die nicht einmal Woͤr- ter genung hat, geſchweige denn viele von ſtarker, reicher, und vielſeitiger Bedeutung? Allein was geht uns denn dieſer Mann an? Meinent- und deinenthalben mag er ſo viel er nur immer will und kann in Proſa ſchreiben; und es ſo oft und lange, als es ihm gefaͤllig iſt, Poeſie nennen. Doch wenn ſolcher Mann nun endlich zu der Einſicht komt, wie es, in Beziehung auf die Poeſie, mit ſeiner Sprache eigentlich beſchaffen iſt, was ſoll er dann anfangen? Dafuͤr laß du
ihn
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ſie mangelt ihr etwas; ſie iſt noch nicht ganz
vollendet. Wie wenig verſteht alſo der von
der Sprache, und was kann er darſtellen,
der nicht einmal die Hauptbedeutungen der
Woͤrter recht kent. Ein Maler, der blau
und roth nicht von einander unterſcheiden koͤn-
te, laͤſt ſich zwar nicht denken, und doch
gleicht ihm derjenige Dichter, dem es an jener
Kentnis fehlt. Zu den vielfachen Beſtim-
mungen der Hauptbedeutungen gehoͤrt auch
ſanfter und ſtarker Klang, langſame und
ſchnelle Bewegung der Woͤrter, ja ſogar die
verſchiedne Stellung dieſer Bewegungen.
Wie ſoll ihm aber, (mich deucht du fragſt
mich das) ein Mann thun, deſſen Sprache
ihm zu ſolchen Bemerkungen wenigen oder
keinen Anlaß giebt, und die nicht einmal Woͤr-
ter genung hat, geſchweige denn viele von
ſtarker, reicher, und vielſeitiger Bedeutung?
Allein was geht uns denn dieſer Mann an?
Meinent- und deinenthalben mag er ſo viel er
nur immer will und kann in Proſa ſchreiben;
und es ſo oft und lange, als es ihm gefaͤllig
iſt, Poeſie nennen. Doch wenn ſolcher
Mann nun endlich zu der Einſicht komt,
wie es, in Beziehung auf die Poeſie, mit
ſeiner Sprache eigentlich beſchaffen iſt,
was ſoll er dann anfangen? Dafuͤr laß du
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Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/212>, abgerufen am 24.11.2024.
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