Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774.

Bild:
<< vorherige Seite

uns kleiner, als bey einigen andern Nationen.
Denn wir sind zu mänlich, um beym Sprechen,
oder bey Haltung einer Rede, Geschrey zu machen.

Der Tonhalt bildet die an sich selbst schon langen
Wörter oder Sylben auf zweyerley Weise. Er bricht
entweder die Zeit, in der sie ausgesprochen werden,
schnell ab, oder er dehnt sie ein wenig aus, als
Waldstrom, sann, sahn. Wald, sann wird ab-
gebrochen, Strom, sahn gedehnt.

Von der Rechtschreibung. Wenn wir die unsri-
ge mit der englischen oder französischen vergleichen;
so ist sie vortreflich, wir schreiben z. E. nicht o auch
durch au und aux, und ean, und eaux (wie barba-
risch würde das den Franzosen bey einer andern Na-
tion vorkommen?) aber, ohne diese Vergleichung,
ist sie nicht wenig fehlerhaft. Der Begrif einer
guten Rechtschreibung kan kein andrer seyn, als
nur das, was man hört, aber auch alles, was
man hört, zu sezen. Jn vollkommner hört man
Ein I und Ein m nicht; in nur und schon ist die
Dehnung des u und des o unbezeichnet geblieben.

Anmerkung 1. Geschrey entsteht nicht allein durch
die Anstrengung, sondern auch durch die Höhe
der Stimme.
Anmerkung 2. Diejenigen Sylben, mit denen die
Stimme sinkt, sind bey uns gewönlich kurz; aber
nicht deswegen, weil die Stimme mit ihnen sinkt,
sondern weil es da zu geschehn pflegt, wo die aus
andern Ursachen kurzen Sylben sind.
Anmerkung 3. Etliche wenige Wörter oder Sylben,
die nach den Regeln des Tonmaasses zweyzeitig
sind, haben gleichwol die Dehnung; aber sie giebt
ihnen die Länge nicht. So ist ihm, zweyzeitig,
und wird, wenn es lang wird, aus andern Ursa-
chen lang, als des Tonhalts wegen.

Wir

uns kleiner, als bey einigen andern Nationen.
Denn wir ſind zu maͤnlich, um beym Sprechen,
oder bey Haltung einer Rede, Geſchrey zu machen.

Der Tonhalt bildet die an ſich ſelbſt ſchon langen
Woͤrter oder Sylben auf zweyerley Weiſe. Er bricht
entweder die Zeit, in der ſie ausgeſprochen werden,
ſchnell ab, oder er dehnt ſie ein wenig aus, als
Waldſtrom, ſann, ſahn. Wald, ſann wird ab-
gebrochen, Strom, ſahn gedehnt.

Von der Rechtſchreibung. Wenn wir die unſri-
ge mit der engliſchen oder franzoͤſiſchen vergleichen;
ſo iſt ſie vortreflich, wir ſchreiben z. E. nicht o auch
durch au und aux, und ean, und eaux (wie barba-
riſch wuͤrde das den Franzoſen bey einer andern Na-
tion vorkommen?) aber, ohne dieſe Vergleichung,
iſt ſie nicht wenig fehlerhaft. Der Begrif einer
guten Rechtſchreibung kan kein andrer ſeyn, als
nur das, was man hoͤrt, aber auch alles, was
man hoͤrt, zu ſezen. Jn vollkommner hoͤrt man
Ein I und Ein m nicht; in nur und ſchon iſt die
Dehnung des u und des o unbezeichnet geblieben.

Anmerkung 1. Geſchrey entſteht nicht allein durch
die Anſtrengung, ſondern auch durch die Hoͤhe
der Stimme.
Anmerkung 2. Diejenigen Sylben, mit denen die
Stimme ſinkt, ſind bey uns gewoͤnlich kurz; aber
nicht deswegen, weil die Stimme mit ihnen ſinkt,
ſondern weil es da zu geſchehn pflegt, wo die aus
andern Urſachen kurzen Sylben ſind.
Anmerkung 3. Etliche wenige Woͤrter oder Sylben,
die nach den Regeln des Tonmaaſſes zweyzeitig
ſind, haben gleichwol die Dehnung; aber ſie giebt
ihnen die Laͤnge nicht. So iſt ihm, zweyzeitig,
und wird, wenn es lang wird, aus andern Urſa-
chen lang, als des Tonhalts wegen.

Wir
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0310" n="234"/>
uns <hi rendition="#fr">kleiner</hi>, als bey einigen andern <hi rendition="#fr">Nationen</hi>.<lb/>
Denn wir &#x017F;ind zu ma&#x0364;nlich, um beym Sprechen,<lb/>
oder bey Haltung einer Rede, Ge&#x017F;chrey zu machen.</p><lb/>
          <p>Der <hi rendition="#fr">Tonhalt</hi> bildet die an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chon langen<lb/>
Wo&#x0364;rter oder Sylben auf zweyerley Wei&#x017F;e. Er bricht<lb/>
entweder die Zeit, in der &#x017F;ie ausge&#x017F;prochen werden,<lb/>
&#x017F;chnell ab, oder er dehnt &#x017F;ie ein wenig aus, als<lb/><hi rendition="#fr">Wald&#x017F;trom, &#x017F;ann, &#x017F;ahn. Wald, &#x017F;ann</hi> wird ab-<lb/>
gebrochen, <hi rendition="#fr">Strom</hi>, &#x017F;ahn gedehnt.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Von der Recht&#x017F;chreibung</hi>. Wenn wir die un&#x017F;ri-<lb/>
ge mit der engli&#x017F;chen oder franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen vergleichen;<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie vortreflich, wir &#x017F;chreiben z. E. nicht <hi rendition="#fr">o</hi> auch<lb/>
durch <hi rendition="#fr">au</hi> und <hi rendition="#fr">aux</hi>, und <hi rendition="#fr">ean</hi>, und eaux (wie barba-<lb/>
ri&#x017F;ch wu&#x0364;rde das den Franzo&#x017F;en bey einer andern Na-<lb/>
tion vorkommen?) aber, ohne die&#x017F;e Vergleichung,<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ie nicht wenig fehlerhaft. Der Begrif einer<lb/>
guten Recht&#x017F;chreibung kan kein andrer &#x017F;eyn, als<lb/><hi rendition="#fr">nur das</hi>, was man ho&#x0364;rt, aber auch <hi rendition="#fr">alles</hi>, was<lb/>
man ho&#x0364;rt, zu &#x017F;ezen. Jn <hi rendition="#fr">vollkommner</hi> ho&#x0364;rt man<lb/>
Ein <hi rendition="#aq">I</hi> und Ein <hi rendition="#fr">m</hi> nicht; in <hi rendition="#fr">nur</hi> und <hi rendition="#fr">&#x017F;chon</hi> i&#x017F;t die<lb/>
Dehnung des <hi rendition="#fr">u</hi> und des <hi rendition="#fr">o</hi> unbezeichnet geblieben.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Wir</fw><lb/><note place="end">Anmerkung 1. Ge&#x017F;chrey ent&#x017F;teht nicht allein durch<lb/>
die An&#x017F;trengung, &#x017F;ondern auch durch die Ho&#x0364;he<lb/>
der Stimme.</note><lb/><note place="end">Anmerkung 2. Diejenigen Sylben, mit denen die<lb/>
Stimme &#x017F;inkt, &#x017F;ind bey uns gewo&#x0364;nlich kurz; aber<lb/>
nicht deswegen, weil die Stimme mit ihnen &#x017F;inkt,<lb/>
&#x017F;ondern weil es da zu ge&#x017F;chehn pflegt, wo die aus<lb/>
andern Ur&#x017F;achen kurzen Sylben &#x017F;ind.</note><lb/><note place="end">Anmerkung <choice><sic>3</sic><corr>3.</corr></choice> Etliche wenige Wo&#x0364;rter oder Sylben,<lb/>
die nach den Regeln des Tonmaa&#x017F;&#x017F;es <hi rendition="#fr">zweyzeitig</hi><lb/>
&#x017F;ind, haben gleichwol die Dehnung; aber &#x017F;ie giebt<lb/>
ihnen die La&#x0364;nge nicht. So i&#x017F;t <hi rendition="#fr">ihm</hi>, zweyzeitig,<lb/>
und wird, wenn es lang wird, aus andern Ur&#x017F;a-<lb/>
chen lang, als des Tonhalts wegen.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[234/0310] uns kleiner, als bey einigen andern Nationen. Denn wir ſind zu maͤnlich, um beym Sprechen, oder bey Haltung einer Rede, Geſchrey zu machen. Der Tonhalt bildet die an ſich ſelbſt ſchon langen Woͤrter oder Sylben auf zweyerley Weiſe. Er bricht entweder die Zeit, in der ſie ausgeſprochen werden, ſchnell ab, oder er dehnt ſie ein wenig aus, als Waldſtrom, ſann, ſahn. Wald, ſann wird ab- gebrochen, Strom, ſahn gedehnt. Von der Rechtſchreibung. Wenn wir die unſri- ge mit der engliſchen oder franzoͤſiſchen vergleichen; ſo iſt ſie vortreflich, wir ſchreiben z. E. nicht o auch durch au und aux, und ean, und eaux (wie barba- riſch wuͤrde das den Franzoſen bey einer andern Na- tion vorkommen?) aber, ohne dieſe Vergleichung, iſt ſie nicht wenig fehlerhaft. Der Begrif einer guten Rechtſchreibung kan kein andrer ſeyn, als nur das, was man hoͤrt, aber auch alles, was man hoͤrt, zu ſezen. Jn vollkommner hoͤrt man Ein I und Ein m nicht; in nur und ſchon iſt die Dehnung des u und des o unbezeichnet geblieben. Wir Anmerkung 1. Geſchrey entſteht nicht allein durch die Anſtrengung, ſondern auch durch die Hoͤhe der Stimme. Anmerkung 2. Diejenigen Sylben, mit denen die Stimme ſinkt, ſind bey uns gewoͤnlich kurz; aber nicht deswegen, weil die Stimme mit ihnen ſinkt, ſondern weil es da zu geſchehn pflegt, wo die aus andern Urſachen kurzen Sylben ſind. Anmerkung 3. Etliche wenige Woͤrter oder Sylben, die nach den Regeln des Tonmaaſſes zweyzeitig ſind, haben gleichwol die Dehnung; aber ſie giebt ihnen die Laͤnge nicht. So iſt ihm, zweyzeitig, und wird, wenn es lang wird, aus andern Urſa- chen lang, als des Tonhalts wegen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/310
Zitationshilfe: Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/310>, abgerufen am 22.11.2024.