Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Meßias.

Der entheiligt der Jünger Beruf und den göttlichen Mittler?
Doch was ist denn sein traurig Verbrechen? Was that der Verlohrne?
Das ihn vor Jesu und dir und allen Geistern entehrte.
Sag es nur frey, zwar bebt mir mein Herz, doch, Jthuriel, sag es!

Seraph, ein heimlicher Haß, ein feindschaftvolles Bestreben,
Sprach Jthuriel, hat den unglückseligen Jünger
Wider den göttlichen Mittler empört. Er hasset Johannes,
Weil den Jesus vor allen mit inniger Zärtlichkeit liebet;
Und, was er noch vor sich selbst zu verbergen sucht, auch den Erlöser.
Auch sind in einer erschrecklichen Stunde Begierden nach Reichthum
Noch dazu in seiner sonst edleren Seele gewurzelt.
Denn die kannt ich im Jünglinge nicht. Von ihnen verblendet,
Glaubt er, nun werde Johannes dereinst vor den übrigen Jüngern,
Und auch besonders vor ihm, im neuen Reiche des Mittlers
Schätze, die herrlichsten Schätze, des Reichthums Erstlinge, sammeln!
Dieß hab ich oft, wenn er, wie er glaubte, von keinem bemerket,
Einsam herumgieng, von ihm aus klagendem Munde vernommen.
Einst als er auch, (dieß schreckliche Bild wird mir ewig vor Augen
Schweben, und ewig mein Herz mit stillem Kummer erfüllen!)
Einst, als er auch im Thale Benhinnon voll Unruh dieß sagte,
Und in Wünsche voll Bosheit bey seiner Beschuldigung ausbrach;
Als ich dabey, wie untröstbar und wehmuthsvoll in mich gekehret
Stand, und mein Angesicht aufhub, da sah ich, wie Satan vorbey gieng,
Und mit bitterm Gespött und triumphirendem Lächeln
Von Jscharioth kam, und stolz mitleidig mich ansah.
Jtzt ist sein Herz dem Zugang des Lasters so bloß und eröffnet,
Daß

Der Meßias.

Der entheiligt der Juͤnger Beruf und den goͤttlichen Mittler?
Doch was iſt denn ſein traurig Verbrechen? Was that der Verlohrne?
Das ihn vor Jeſu und dir und allen Geiſtern entehrte.
Sag es nur frey, zwar bebt mir mein Herz, doch, Jthuriel, ſag es!

Seraph, ein heimlicher Haß, ein feindſchaftvolles Beſtreben,
Sprach Jthuriel, hat den ungluͤckſeligen Juͤnger
Wider den goͤttlichen Mittler empoͤrt. Er haſſet Johannes,
Weil den Jeſus vor allen mit inniger Zaͤrtlichkeit liebet;
Und, was er noch vor ſich ſelbſt zu verbergen ſucht, auch den Erloͤſer.
Auch ſind in einer erſchrecklichen Stunde Begierden nach Reichthum
Noch dazu in ſeiner ſonſt edleren Seele gewurzelt.
Denn die kannt ich im Juͤnglinge nicht. Von ihnen verblendet,
Glaubt er, nun werde Johannes dereinſt vor den uͤbrigen Juͤngern,
Und auch beſonders vor ihm, im neuen Reiche des Mittlers
Schaͤtze, die herrlichſten Schaͤtze, des Reichthums Erſtlinge, ſammeln!
Dieß hab ich oft, wenn er, wie er glaubte, von keinem bemerket,
Einſam herumgieng, von ihm aus klagendem Munde vernommen.
Einſt als er auch, (dieß ſchreckliche Bild wird mir ewig vor Augen
Schweben, und ewig mein Herz mit ſtillem Kummer erfuͤllen!)
Einſt, als er auch im Thale Benhinnon voll Unruh dieß ſagte,
Und in Wuͤnſche voll Bosheit bey ſeiner Beſchuldigung ausbrach;
Als ich dabey, wie untroͤſtbar und wehmuthsvoll in mich gekehret
Stand, und mein Angeſicht aufhub, da ſah ich, wie Satan vorbey gieng,
Und mit bitterm Geſpoͤtt und triumphirendem Laͤcheln
Von Jſcharioth kam, und ſtolz mitleidig mich anſah.
Jtzt iſt ſein Herz dem Zugang des Laſters ſo bloß und eroͤffnet,
Daß
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="27">
              <l>
                <pb facs="#f0100" n="88"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Meßias.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Der entheiligt der Ju&#x0364;nger Beruf und den go&#x0364;ttlichen Mittler?</l><lb/>
              <l>Doch was i&#x017F;t denn &#x017F;ein traurig Verbrechen? Was that der Verlohrne?</l><lb/>
              <l>Das ihn vor Je&#x017F;u und dir und allen Gei&#x017F;tern entehrte.</l><lb/>
              <l>Sag es nur frey, zwar bebt mir mein Herz, doch, Jthuriel, &#x017F;ag es!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="28">
              <l>Seraph, ein heimlicher Haß, ein feind&#x017F;chaftvolles Be&#x017F;treben,</l><lb/>
              <l>Sprach Jthuriel, hat den unglu&#x0364;ck&#x017F;eligen Ju&#x0364;nger</l><lb/>
              <l>Wider den go&#x0364;ttlichen Mittler empo&#x0364;rt. Er ha&#x017F;&#x017F;et Johannes,</l><lb/>
              <l>Weil den Je&#x017F;us vor allen mit inniger Za&#x0364;rtlichkeit liebet;</l><lb/>
              <l>Und, was er noch vor &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu verbergen &#x017F;ucht, auch den Erlo&#x0364;&#x017F;er.</l><lb/>
              <l>Auch &#x017F;ind in einer er&#x017F;chrecklichen Stunde Begierden nach Reichthum</l><lb/>
              <l>Noch dazu in &#x017F;einer &#x017F;on&#x017F;t edleren Seele gewurzelt.</l><lb/>
              <l>Denn die kannt ich im Ju&#x0364;nglinge nicht. Von ihnen verblendet,</l><lb/>
              <l>Glaubt er, nun werde Johannes derein&#x017F;t vor den u&#x0364;brigen Ju&#x0364;ngern,</l><lb/>
              <l>Und auch be&#x017F;onders vor ihm, im neuen Reiche des Mittlers</l><lb/>
              <l>Scha&#x0364;tze, die herrlich&#x017F;ten Scha&#x0364;tze, des Reichthums Er&#x017F;tlinge, &#x017F;ammeln!</l><lb/>
              <l>Dieß hab ich oft, wenn er, wie er glaubte, von keinem bemerket,</l><lb/>
              <l>Ein&#x017F;am herumgieng, von ihm aus klagendem Munde vernommen.</l><lb/>
              <l>Ein&#x017F;t als er auch, (dieß &#x017F;chreckliche Bild wird mir ewig vor Augen</l><lb/>
              <l>Schweben, und ewig mein Herz mit &#x017F;tillem Kummer erfu&#x0364;llen!)</l><lb/>
              <l>Ein&#x017F;t, als er auch im Thale Benhinnon voll Unruh dieß &#x017F;agte,</l><lb/>
              <l>Und in Wu&#x0364;n&#x017F;che voll Bosheit bey &#x017F;einer Be&#x017F;chuldigung ausbrach;</l><lb/>
              <l>Als ich dabey, wie untro&#x0364;&#x017F;tbar und wehmuthsvoll in mich gekehret</l><lb/>
              <l>Stand, und mein Ange&#x017F;icht aufhub, da &#x017F;ah ich, wie Satan vorbey gieng,</l><lb/>
              <l>Und mit bitterm Ge&#x017F;po&#x0364;tt und triumphirendem La&#x0364;cheln</l><lb/>
              <l>Von J&#x017F;charioth kam, und &#x017F;tolz mitleidig mich an&#x017F;ah.</l><lb/>
              <l>Jtzt i&#x017F;t &#x017F;ein Herz dem Zugang des La&#x017F;ters &#x017F;o bloß und ero&#x0364;ffnet,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Daß</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0100] Der Meßias. Der entheiligt der Juͤnger Beruf und den goͤttlichen Mittler? Doch was iſt denn ſein traurig Verbrechen? Was that der Verlohrne? Das ihn vor Jeſu und dir und allen Geiſtern entehrte. Sag es nur frey, zwar bebt mir mein Herz, doch, Jthuriel, ſag es! Seraph, ein heimlicher Haß, ein feindſchaftvolles Beſtreben, Sprach Jthuriel, hat den ungluͤckſeligen Juͤnger Wider den goͤttlichen Mittler empoͤrt. Er haſſet Johannes, Weil den Jeſus vor allen mit inniger Zaͤrtlichkeit liebet; Und, was er noch vor ſich ſelbſt zu verbergen ſucht, auch den Erloͤſer. Auch ſind in einer erſchrecklichen Stunde Begierden nach Reichthum Noch dazu in ſeiner ſonſt edleren Seele gewurzelt. Denn die kannt ich im Juͤnglinge nicht. Von ihnen verblendet, Glaubt er, nun werde Johannes dereinſt vor den uͤbrigen Juͤngern, Und auch beſonders vor ihm, im neuen Reiche des Mittlers Schaͤtze, die herrlichſten Schaͤtze, des Reichthums Erſtlinge, ſammeln! Dieß hab ich oft, wenn er, wie er glaubte, von keinem bemerket, Einſam herumgieng, von ihm aus klagendem Munde vernommen. Einſt als er auch, (dieß ſchreckliche Bild wird mir ewig vor Augen Schweben, und ewig mein Herz mit ſtillem Kummer erfuͤllen!) Einſt, als er auch im Thale Benhinnon voll Unruh dieß ſagte, Und in Wuͤnſche voll Bosheit bey ſeiner Beſchuldigung ausbrach; Als ich dabey, wie untroͤſtbar und wehmuthsvoll in mich gekehret Stand, und mein Angeſicht aufhub, da ſah ich, wie Satan vorbey gieng, Und mit bitterm Geſpoͤtt und triumphirendem Laͤcheln Von Jſcharioth kam, und ſtolz mitleidig mich anſah. Jtzt iſt ſein Herz dem Zugang des Laſters ſo bloß und eroͤffnet, Daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/100
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/100>, abgerufen am 21.11.2024.