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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.

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Dritter Gesang.

Doch du willst es, ich red, o Seraph. Jscharioth heißt er,
Welchen du siehst. Ja, Seraph, ich wollte nicht über ihn weinen,
Ungerührt wollt ich ihn sehn, unbethränt und ohne Betrübniß
Wollt ich ihn sehn, und in heiligem Zorne den Strafbaren meiden;
Hätt ihm nicht Gott ein edles Gemüth, und ein tugendhaft Herze,
Und in der unentheiligten Jugend viel Unschuld gegeben;
Hätt ihn nicht selbst der Meßias der Jüngerschaft würdig geachtet,
Jn der er anfangs auch heilig und fromm und untadelhaft lebte.
Aber ach nun! - - Doch ich schweige, mein Leid nicht unendlich zu häufen!
Ja nun weis ich, warum, da wir uns von den Seelen der Jünger
Einst vor des Leibes Geburt, vorm Antlitz Gottes, besprachen;
Warum damals, auf göttliches Winken, Seraph Eloa
Traurig herabftieg, und einen der hohen goldenen Stüle,
Die den heiligen Zwölfen Gott gab, mit Wolken bedeckte.
Auch ist Gabriel traurig und mit verhülltem Gesichte
Vor mir vorübergegangen, als ihn in unseliger Stunde
Seine verlassene Mutter gebahr. Wärst du nur nicht gebohren!
Hätte von deiner nun ewigen Seele kein Seraph gesprochen,
Armer verlohrner! dieß wäre dir besser, als daß du den Mittler
Und der Jünger erhabnen Beruf unedel entheiligst.

Seraph Jthuriel sprachs, und blieb mit sinkenden Blicken
Traurig vor Selia stehen. Mein ganzes Herz erbebt mir,
Und ein trübes Dunkel, wie Dämmruug, umnebelt mein Auge!
Sagt itzt Selia seufzend. Jscharioth, einer der Zwölfe,
Und dein Jünger, Jthuriel? Was der Unsterblichen keiner
Jemals geglaubt, was itzo ihr Mund vor Wehmuth kaum ausspricht!
Der
F 4

Dritter Geſang.

Doch du willſt es, ich red, o Seraph. Jſcharioth heißt er,
Welchen du ſiehſt. Ja, Seraph, ich wollte nicht uͤber ihn weinen,
Ungeruͤhrt wollt ich ihn ſehn, unbethraͤnt und ohne Betruͤbniß
Wollt ich ihn ſehn, und in heiligem Zorne den Strafbaren meiden;
Haͤtt ihm nicht Gott ein edles Gemuͤth, und ein tugendhaft Herze,
Und in der unentheiligten Jugend viel Unſchuld gegeben;
Haͤtt ihn nicht ſelbſt der Meßias der Juͤngerſchaft wuͤrdig geachtet,
Jn der er anfangs auch heilig und fromm und untadelhaft lebte.
Aber ach nun! - - Doch ich ſchweige, mein Leid nicht unendlich zu haͤufen!
Ja nun weis ich, warum, da wir uns von den Seelen der Juͤnger
Einſt vor des Leibes Geburt, vorm Antlitz Gottes, beſprachen;
Warum damals, auf goͤttliches Winken, Seraph Eloa
Traurig herabftieg, und einen der hohen goldenen Stuͤle,
Die den heiligen Zwoͤlfen Gott gab, mit Wolken bedeckte.
Auch iſt Gabriel traurig und mit verhuͤlltem Geſichte
Vor mir voruͤbergegangen, als ihn in unſeliger Stunde
Seine verlaſſene Mutter gebahr. Waͤrſt du nur nicht gebohren!
Haͤtte von deiner nun ewigen Seele kein Seraph geſprochen,
Armer verlohrner! dieß waͤre dir beſſer, als daß du den Mittler
Und der Juͤnger erhabnen Beruf unedel entheiligſt.

Seraph Jthuriel ſprachs, und blieb mit ſinkenden Blicken
Traurig vor Selia ſtehen. Mein ganzes Herz erbebt mir,
Und ein truͤbes Dunkel, wie Daͤmmruug, umnebelt mein Auge!
Sagt itzt Selia ſeufzend. Jſcharioth, einer der Zwoͤlfe,
Und dein Juͤnger, Jthuriel? Was der Unſterblichen keiner
Jemals geglaubt, was itzo ihr Mund vor Wehmuth kaum ausſpricht!
Der
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[87/0099] Dritter Geſang. Doch du willſt es, ich red, o Seraph. Jſcharioth heißt er, Welchen du ſiehſt. Ja, Seraph, ich wollte nicht uͤber ihn weinen, Ungeruͤhrt wollt ich ihn ſehn, unbethraͤnt und ohne Betruͤbniß Wollt ich ihn ſehn, und in heiligem Zorne den Strafbaren meiden; Haͤtt ihm nicht Gott ein edles Gemuͤth, und ein tugendhaft Herze, Und in der unentheiligten Jugend viel Unſchuld gegeben; Haͤtt ihn nicht ſelbſt der Meßias der Juͤngerſchaft wuͤrdig geachtet, Jn der er anfangs auch heilig und fromm und untadelhaft lebte. Aber ach nun! - - Doch ich ſchweige, mein Leid nicht unendlich zu haͤufen! Ja nun weis ich, warum, da wir uns von den Seelen der Juͤnger Einſt vor des Leibes Geburt, vorm Antlitz Gottes, beſprachen; Warum damals, auf goͤttliches Winken, Seraph Eloa Traurig herabftieg, und einen der hohen goldenen Stuͤle, Die den heiligen Zwoͤlfen Gott gab, mit Wolken bedeckte. Auch iſt Gabriel traurig und mit verhuͤlltem Geſichte Vor mir voruͤbergegangen, als ihn in unſeliger Stunde Seine verlaſſene Mutter gebahr. Waͤrſt du nur nicht gebohren! Haͤtte von deiner nun ewigen Seele kein Seraph geſprochen, Armer verlohrner! dieß waͤre dir beſſer, als daß du den Mittler Und der Juͤnger erhabnen Beruf unedel entheiligſt. Seraph Jthuriel ſprachs, und blieb mit ſinkenden Blicken Traurig vor Selia ſtehen. Mein ganzes Herz erbebt mir, Und ein truͤbes Dunkel, wie Daͤmmruug, umnebelt mein Auge! Sagt itzt Selia ſeufzend. Jſcharioth, einer der Zwoͤlfe, Und dein Juͤnger, Jthuriel? Was der Unſterblichen keiner Jemals geglaubt, was itzo ihr Mund vor Wehmuth kaum ausſpricht! Der F 4

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/99>, abgerufen am 21.11.2024.