[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.
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<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="4"> <l> <pb facs="#f0137" n="125"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vierter Geſang.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Hatte geheim ſchon geweint, daß er unentſchloſſen verſtummt war.</l><lb/> <l>Zitternd gieng er von Nikodemus, und konnte vor Wehmut</l><lb/> <l>Gar nicht ſprechen. Er hub nur ſein Auge voll Unſchuld gen Himmel.</l><lb/> <l>Nikodemus ließ die Verſammlung ſtaunend zuruͤcke,</l><lb/> <l>Und, auf den Tag des Gerichts, mit Wunden der Seele gebrandmarkt;</l><lb/> <l>Wunden, deren Gefuͤhl ſie itzt zu betaͤuben ſich zwangen,</l><lb/> <l>Aber die offen ſeyn werden, weit offen, den Tag der Vergeltung,</l><lb/> <l>Ewig zu bluten, wenn nun der Zeuge nicht mehr betaͤubt wird,</l><lb/> <l>Den der Richter der Welt ins Herz des Menſchen geſandt hat.</l><lb/> <l>Alle ſchwiegen. Es haͤtte ſich itzt die Verſammlung getrennet;</l><lb/> <l>Waͤre nicht eben ein Juͤnger von dem, den ſie haßten, gekommen.</l><lb/> <l>Judas Jſchariot ward hereingefuͤhret. Sie ſahn ihn</l><lb/> <l>Voll Verwundrung die Reihn der tiefen Verſammlung vorbeygehn,</l><lb/> <l>Und mit ruhiger Mine dem Hohenprieſter ſich naͤhern.</l><lb/> <l>Der empfieng ihn, und neigte ſein frohes Antlitz auf Judas.</l><lb/> <l>Judas ſpricht ins Geheim mit dem Hohenprieſter. Der kehrt ſich</l><lb/> <l>Zu der Verſammlung und ſagt: noch ſind in Jſrael uͤbrig,</l><lb/> <l>Die ihr Knie vor dem Goͤtzen nicht beugen. Der Mann iſt ſein Juͤnger,</l><lb/> <l>Und doch herzhaft genug, daß Geſetz der Vaͤter zu halten!</l><lb/> <l>Er verdienet Belohnung! Jſchariot nahm die Belohnung.</l><lb/> <l>Und, erfuͤllet von Stolz, daß ihn die Vaͤter ſo ehrten,</l><lb/> <l>Gieng er aus der Verſammlung! Nur war ihm der Lohn zu geringe.</l><lb/> <l>Doch ermuntert er ſich mit der Hoffnung, mehr zu beſitzen,</l><lb/> <l>Wenn er mit Eifer und Weisheit die That erſt ausgefuͤhrt haͤtte.</l><lb/> <l>Philo ſah den Juͤnger vorbeygehn, und haßt ihn. Daß einer</l><lb/> <l>Von den Geringen des Volks an ſeiner Ehre den Antheil</l><lb/> <l>Nehmen ſollte, das quaͤlt ihn. Doch ſah er mit winkendem Laͤcheln<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Au</fw><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [125/0137]
Vierter Geſang.
Hatte geheim ſchon geweint, daß er unentſchloſſen verſtummt war.
Zitternd gieng er von Nikodemus, und konnte vor Wehmut
Gar nicht ſprechen. Er hub nur ſein Auge voll Unſchuld gen Himmel.
Nikodemus ließ die Verſammlung ſtaunend zuruͤcke,
Und, auf den Tag des Gerichts, mit Wunden der Seele gebrandmarkt;
Wunden, deren Gefuͤhl ſie itzt zu betaͤuben ſich zwangen,
Aber die offen ſeyn werden, weit offen, den Tag der Vergeltung,
Ewig zu bluten, wenn nun der Zeuge nicht mehr betaͤubt wird,
Den der Richter der Welt ins Herz des Menſchen geſandt hat.
Alle ſchwiegen. Es haͤtte ſich itzt die Verſammlung getrennet;
Waͤre nicht eben ein Juͤnger von dem, den ſie haßten, gekommen.
Judas Jſchariot ward hereingefuͤhret. Sie ſahn ihn
Voll Verwundrung die Reihn der tiefen Verſammlung vorbeygehn,
Und mit ruhiger Mine dem Hohenprieſter ſich naͤhern.
Der empfieng ihn, und neigte ſein frohes Antlitz auf Judas.
Judas ſpricht ins Geheim mit dem Hohenprieſter. Der kehrt ſich
Zu der Verſammlung und ſagt: noch ſind in Jſrael uͤbrig,
Die ihr Knie vor dem Goͤtzen nicht beugen. Der Mann iſt ſein Juͤnger,
Und doch herzhaft genug, daß Geſetz der Vaͤter zu halten!
Er verdienet Belohnung! Jſchariot nahm die Belohnung.
Und, erfuͤllet von Stolz, daß ihn die Vaͤter ſo ehrten,
Gieng er aus der Verſammlung! Nur war ihm der Lohn zu geringe.
Doch ermuntert er ſich mit der Hoffnung, mehr zu beſitzen,
Wenn er mit Eifer und Weisheit die That erſt ausgefuͤhrt haͤtte.
Philo ſah den Juͤnger vorbeygehn, und haßt ihn. Daß einer
Von den Geringen des Volks an ſeiner Ehre den Antheil
Nehmen ſollte, das quaͤlt ihn. Doch ſah er mit winkendem Laͤcheln
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